Metaphern und geistreiche Sprachbilder

Namenlose Funktionsträger bei kreativen Planungssitzungen zur Verkaufssteigerung: Harun Farockis Dokumentation „Die Schöpfer der Einkaufswelten“ hat im Lichtmeß Hamburg-Premiere

Viel ist geschrieben worden über die kreative Seite der Wirtschaft in einer Zeit, in der der Dienstleistungssektor der industriellen Produktion an Bedeutung längst den Rang abgelaufen hat. Von schöpferischen Aufgaben ist da die Rede – im Vergleich zu den stupiden, die eine Arbeit am Fließband mit sich bringt. Und sieht man sich Harun Farockis im letzten Jahr auf den Wiener Festwochen erstaufgeführten Dokumentarfilm Die Schöpfer der Einkaufswelten an – wozu das Lichtmeß jetzt Gelegenheit gibt – dann ist man sehr geneigt, das zu glauben.

Namenlose Funktionsträger hat Farocki bei Planungssitzungen beobachtet: Architekten, Investoren, Geschäftsführer, Stadtentwicklungsbeamte, Verkaufspsychologen und Marketingexperten tragen da in von keinem Zeitdruck geplagten Workshops und Meetings ihr gesammeltes Wissen zusammen. Geplant werden neue Shopping Malls, der Umbau von Einkaufszentren, die innenarchitektonische Gestaltung eines Buchladens oder eines traditionellen Bekleidungshauses, aber auch die Anordnung der Waren in einem Supermarkt mit Platzproblemen.

Was in diesen endlos scheinenden Gesprächen von den Beteiligten – inklusive der hin und wieder vertretenen Verkäuferinnen – an Metaphern und geistreichen Sprachbildern verwendet wird, wie sie Emotionen – eigene und vorgestellte von Kunden und Kundinnen – auszudrücken verstehen: Mindestens dies deutet auf eine mit den neuen Anforderungen der Ökonomie gewachsene Kreativität. In harten Gegenschnitten hat Farocki sie mit den Bildern von Überwachungskameras und Computeranimationen aus den USA konfrontiert, nach denen das Kundenverhalten genauestens analysiert und die Geschäfte entsprechend verkaufsfördernd umgebaut werden.

In den Planungsgesprächen aus Deutschland jedoch scheint immer wieder ein Konflikt auf zwischen den harten Anforderungen der Gewinnmaximierung und den „weichen“ Forderungen von Architekten oder Angestellten. Zwar setzten sich die Pragmatiker und Profitorientierten immer wieder durch, mit Sätzen wie: „Die Stadt ist nicht Gegenstand des Experimentierens. Wer Visionen hat, soll auf die Wiese gehen oder in die Psychiatrie.“ Doch Farocki hütet sich, den Kampf als vollständig entschieden darzustellen. Und ganz nebenbei stellt er einen Unterschied zwischen den USA und Deutschland heraus, wo der deutschen Romantik entspringende Vorstellungen vom eigenen Beruf so manchen Funktionsträger anscheinend noch heute zu Entscheidung treiben, die nicht unbedingt den größten Profit versprechen.

Vielleicht liegt es aber auch an einer technischen Rückständigkeit hierzulande. Nicht umsonst greift Farocki immer dann auf US-amerikanische Bilder zurück, wenn erläutert werden soll, wie weitgehend das Käuferverhalten schon längst umfassend beobachtet, kontrolliert und ausgewertet wird. Zum Beispiel mittels eines „Eye Mark Researchers“, ein computergesteuertes Gerät, das die Bewegungen der Pupillen genau verfolgt und aufzeichnet, wo der Blick hinläuft.

Das zentrale und für Farocki typische Bild des Films ist denn auch ein Auge in Großaufnahme, auf dem ein Fadenkreuz zittert. Das Ziel der Konsumstrategen ist der Blick des Kunden, denn wie eine Verkaufsstrategin in dem Film einmal sagt: „Der Fuß geht dorthin, wo das Auge schon war.“ Farocki hat, hier einmal ohne lenkenden Kommentar, ohne Interviews oder arrangierte Gespräche, einen Aufklärungsfilm im besten Sinne gemacht. Denn wer dies gesehen hat, wird nie wieder unbedarft einen Supermarkt betreten.

Christiane Müller-Lobeck

Do, 20 Uhr, Lichtmeß (mit einer Einführung von Ute Holl)