Handwerker des Halsabschneidens

Die Dokumentation „Henker“ von Jens Becker und Gunnar Dedio verpflichtet sich dem Individuellen und Soliden von Scharfrichtern. Eine Differenzierung staatlicher Rechtfertigungen der Todesstrafe gelingt dem Film nicht

von URS RICHTER

Die knappen Kassen und Zukunftsängstlichkeiten hiesiger Filmproduktion haben einen beachtenswerten Effekt: Gleich im Dutzend gelangen Dokumentarfilme, die früher lediglich durch den Festivalbetrieb geschleust und später ins öffentlich-rechtliche Nachtprogramm abgeschoben worden wären, auf die Kinoleinwand. Dokumentationen sind verhältnismäßig günstig in der Herstellung, die Fördergelder scheinen sich irgendwie zu rechnen. Das interessierte Publikum konnte allein in den letzten Wochen Einblick nehmen in die Lebensbeichte von Hitlers Sekretärin, in die versteckten Träume unterm Glanz von Berlin, in das große Maul eines Boxprinzen oder konnte sich gruseln angesichts der RAF-Verkitschung Starbuck Holger Meins. Solidem Handwerk verpflichtet sich nun der Dokumentarfilm Henker.

Die Regisseure Jens Becker und Gunnar Dedio befragen Vertreter einer Berufsgruppe, die - zumindest in Europa – gottseidank – ausstirbt: einen Franzosen, der in den 50ern algerische Unabhängigkeitskämpfer guillotinierte und heute ein Privatmuseum des Folterhandwerks betreibt; einen Gefängnisbediensteten, der im ehemaligen Jugoslawien an geheimen Erschießungskommandos teilnahm; einen ungarischen Strafvollzugsbeamten, der die Verurteilten zu strangulieren hatte; jenen rumänischen Offizier, der 1989 sein Magazin in das Ehepaar Ceausescu leerschoss. Und schließlich einen deutschen Kommunisten, der in Sachsenhausen von den Nazis gezwungen wurde, andere Gefangene zu hängen. Zusätzlich eingespielt werden Videosequenzen des ehemaligen GIs, der die Todesurteile im Nürnberger Kriegsverbrecherprozesses vollstreckte und Ausschnitte eines TV-Interviews, das Roger Willemsen mit dem letzten amtierenden Henker der DDR führte.

Die Unzulänglichkeit des Filmes liegt, um es gleich zu sagen, in seiner unklaren Zielsetzung. Henker kann sich nicht entscheiden, ob er über Individuen oder über Gesellschaftsordnungen berichten will. Nach kurzer Vorstellung der Männer springt er quer durch die Zeiten und politischen Umstände, und einer nach dem anderen erzählt von der Nervosität des ersten Mals, worauf bei welcher Technik zu achten ist, wie viel Alkohol danach Not tut. Die Fragen nach Schuldgefühlen und persönlichen Konsequenzen nivelliert dieses Vorgehen ebenso, wie die sehr unterschiedlichen Antworten.

Der Amerikaner etwa bedient sämtliche Cowboyklischees, ein dummer alter Mann, der seine Schauergeschichten sichtlich genussvoll zum Besten gibt. Anders, aber ähnlich stumpf der DDRler, von dem trotz Willemsens Einfühlungsgeseire nichts ersichtlich wird als eine riesige, braungetönte Brille. Der Auftritt dieser beiden Wachsfiguren ist ganz dem Effekt verpflichtet, zum Sprechen bringt sie der Film nicht.

Andere, denen man dagegen gern viel ausführlicher zugehört hätte, werden vom thematischen Zugzwang der Dramaturgie beschnitten. Die Pausen, die hier gekürzt werden, das Schweigen, das nicht zu Wort kommt, hätte wahrscheinlich sehr viel genauer unterscheiden können zwischen dem einmaligen Exekutionsbefehl an den rumänischen Offizier und dem routinierten Gewerbe des Franzosen in Algier. Vor allem das Schicksal von Paul Sakowski, der 1937 auf dem Weg zu den Roten Brigaden von Nazischergen abgefangen und im KZ Sachsenhausen gezwungen wurde, die eigenen Genossen zu erhängen, der nach der Befreiung in einem Schauprozess durch die Sowjets zu lebenslangem Arbeitslager verurteilt wurde und erst 25 Jahre später freikam: Das wäre einen selbstständigen Film wert gewesen.

Henker aber gelingt es nicht – entlang der Biographie und dem Selbstverständnis der Porträtierten – die jeweilige Rechtfertigung der Todesstrafe in der Demokratie, der Scheindemokratie, der Diktatur oder im Terrorregime zu differenzieren. Das wäre die eigentliche, die politische Herausforderung an das Thema gewesen. Eine weibliche Offstimme steckt lediglich protokollarisch den historischen Claim ab, in dessen Grenzen die Herren ihr grausiges Handwerk besorgten. Um Handwerkliches geht es dann auch vornehmlich. Für den nötigen Grusel sorgen im Gegenzug die subjektive Wackelkamera bei Todeszellenbesichtigungen, die schäbig suggestive Vorabendkrimimusik und gediegene Slowmotionfahrten, dem Abwärtsweg des Fallbeils folgend.

Do + Sa–Di, 17 Uhr, Mi + Fr, 19 Uhr, Abaton