off-kino Filme aus dem Archiv – Frisch gesichtet

Für Robert Bresson war das Kino eine Frage der Moral: Ein Film konnte wahr oder falsch sein – Zwischentöne liebte der französische Regisseur nicht. Als falsch hatte Bresson vor allem die Mimik, Gestik und Intonation professioneller Schauspieler erkannt. Einen Akteur auf ein echtes Schiff bei hohem Seegang zu stellen und ihn die Angst vor dem Schiffbruch mimen zu lassen, fand der Regisseur absurd, da „das Wahre das Falsche wieder hervortreten lässt und das Falsche verhindert, dass man das Wahre glaubt“. Um der Falle des fotografierten Theaters zu entgehen, arbeitete Bresson seit seinem dritten Spielfilm „Das Tagebuch eines Landpfarrers“ ausschließlich mit Laiendarstellern, denen er durch endlose Proben das „Schauspielen“ austrieb – bis ihre Mimik und Intonation schließlich den vom Regisseur gewünschten Grad an Automatismus und Ausdruckslosigkeit erreicht hatten. Denn die Emotionen erzeugte Bresson allein mit filmisch-technischen Mitteln: Schnitt, Einstellungsgröße und Kamerabewegung. Musik als Unterstützung und Untermalung empfand der Regisseur bereits als unehrenhaft. In Bressons Filmen gibt es kein schmückendes Beiwerk: Präzise erzählen die Einstellungen nur das Notwendigste. Wie etwa zu Beginn von Bressons letztem Film „Das Geld“, der 1983 nach einer Novelle von Tolstoi entstand. Da geht es um die wissentliche Weitergabe von Falschgeld, und genau diesen Aus- und Umtausch zeigt die Kamera: Immer wieder sind Hände und das Geld zu sehen – bis das Falschgeld schließlich erkannt wird und an einem völlig unschuldigen Heizöllieferanten hängen bleibt. Die Geschichte selbst verläuft so unerbittlich wie ihre filmische Umsetzung: Während die Reichen und die Bürgerlichen immer wieder auf die Füße fallen, gerät der junge Lastwagenfahrer in soziales und persönliches Elend. Und seine Entwicklung zum Mörder derer, die es gut mit ihm meinen, ist die einzig denkbare Konsequenz.

„Das Geld“ 4. 5. im Arsenal 1

***Als einen Nachfolger von Robert Bresson kann man Aki Kaurismäki betrachten: Beherrscht doch auch der finnische Regisseur die Kunst, überaus präzise von den Lebensumständen seiner Figuren zu berichten. Doch während Bressons Helden deterministisch ihrem Schicksal entgegenschreiten, versuchen Kaurismäkis Charaktere, selbiges – meist ohne viel Erfolg – noch irgendwie zu beeinflussen und zu meistern. Dabei bricht sich in Kaurismäkis Geschichten immer wieder ein bitterer schwarzer Humor Bahn, und auch die Kommentierung der Story durch Musikstücke ist bei ihm keineswegs verpönt. In „Das Mädchen aus der Streichholzfabrik“ sind es die traurigen finnischen Tangos, deren Texte von unerreichbaren sonnigen Fantasieländern künden, die das Leben der unscheinbaren Arbeiterin Iris (Kati Outinen) begleiten. Die hat einen öden Job in der Endkontrolle einer Fabrik, zu Hause rackert sie für Mutter und Stiefvater, die ihr den Lohn wegnehmen (und abends das Fleisch aus der Suppe), und beim Tanztee sitzt sie unbeachtet herum. Unerbittlich erzählt der dritte Teil von Kaurismäkis „Arbeiter-Trilogie“ von Iris’ Situation als ausgebeutetes Mauerblümchen und davon, wie ihre Versuche, ein wenig Freude und Glück in ihr Leben zu bringen, restlos scheitern. Am Ende wird sich Iris für die erlittenen Demütigungen rächen: Als erstmals ein kleines Lächeln um ihre Lippen spielt, ist das Rattengift bereits eingekauft.

„Das Mädchen aus der Streichholzfabrik“ 31. 5. im Filmtheater am Friedrichshain; 2. 6. im Delphi; 3. 6. im Thalia Babelsberg

***Was Tom Cruise an Alejandro Amenábars rätselhaftem Thriller „Abre los ojos“ so faszinierte, dass er beschloss, mit „Vanilla Sky“ ein amerikanisches Remake zu produzieren, lässt sich unschwer erkennen: Die Figur des oberflächlichen jungen Mannes, dessen Selbstbewusstsein durch einen Schicksalsschlag jäh zerstört wird und der erst einen schmerzlichen Lernprozess durchlaufen muss, ehe er zu sich selbst findet, ist von jeher seine einzige Rolle. Und weil sich Regisseur Cameron Crowe in seine Hauptfiguren verliebt und sogar eine mögliche Liebesgeschichte findet, wirkt „Vanilla Sky“ letztlich menschlicher, unterhaltsamer, aber – was einen bei einem amerikanischen Film auch nicht verwundern sollte – auch glatter und oberflächlicher als das kühle Original.

„Vanilla Sky“ 30. 5.–5. 6. im Cinema, Sojus 1, UCI Le Prom; 31. 5. im Freiluftkino Hasenheide; 2. 6., 5. 6. im Casablanca

LARS PENNING