„Berlin ist pleite, ich bin schuld“

Mehr als 1.000 Lehrer und Polizisten demonstrieren gegen die Sparvorgaben des rot-roten Senats. Ziel des Aufzugs ist die Zentrale der Bankgesellschaft am Alexanderplatz. Die Gewerkschaften planen eine Großdemonstration am 25. Juni

Trotz Sparpaket und Solidarpakt – die Landesdiener behalten ihren Humor: „He, es ist rot – stehen blieben!“ Wer gestern die mehr als 1.000 Demonstranten an einer roten Ampel an sich vorüberziehen ließ, konnte diesen einen Witz ungefähr ein Dutzend Mal hören. Und jedes Mal, wenn ein vorlauter Kollege sich derart produziert, zollen die Umstehenden artig Beifall. Man kennt sich, man versteht sich – und man kämpft gemeinsam gegen die Sparvorgaben des rot-roten Senats, die die eigene Lebenssituation verschlechtern würden.

Die da kämpfen, sind allerdings nicht die Armen der Stadt – obwohl manch einer aussieht, als ob er sich seit zehn Jahren keine neuen Jeans mehr hat leisten können. Es sind Lehrer und Polizisten, Feuerwehrleute und Mitarbeiter der Meldestellen, die da gegen den so genannten Solidarpakt demonstrieren, der ihnen Lohnkürzungen und Arbeitszeitverlängerungen bringen soll.

Mit den so erzielten Einsparungen sollen die leeren öffentlichen Kassen um insgesamt eine halbe Milliarde Euro entlastet werden. Das sehen die Demonstranten – verständlicherweise – nicht ein, und der Protest ist vielen direkt auf den mitunter umfänglichen Leib geschnitten: „Berlin ist pleite, ich bin schuld“ – das schwarze T-Shirt aus der Sommerkollektion der Polizeigewerkschaft, auf dem die Botschaft prangt, ist unbestreitbar der Renner der Saison.

Auch das Ziel der Demonstranten, die Zentrale der Bankgesellschaft am Alex, kann sich in diesem Jahr damit rühmen, ziemlich in bei Protestlern zu sein. Wo während des Bush-Besuchs noch 50 Attac-Aktivisten einen Zusammenhang zwischen „US-Imperialismus“ und dem maroden Berliner Bankkonzern herzustellen suchten, postierten sich gestern die Gewerkschafter: direkt vor der Hauptdrehtür der Bank. Schließlich wird der Senat dem Bankkonzern jährlich 300 Millionen Mark zur Abschirmung von Immobilienfondsrisiken bereitstellen. Ein Skandal, wie die Demonstranten finden – weil sie darunter leiden sollen.

Der Senat schwadroniere über einen Solidarpakt zu Lasten der Beschäftigten, ruft Lehrergewerkschaftschef Ulrich Thöne den Demonstranten zu. „Aber hat er jemals daran gedacht, wie die 70.000 Fondsanleger an der Krise beteiligt werden?“ Die Demonstranten pusten in ihre Trillerpfeifen; freuen sich, dass der eine oder andere Banker aus dem Fenster lugt. Thöne schwört seine Kollegen auf einen langen Kampf ein, bei dem die Farbe der Regierungsparteien keine Rolle spielen dürfe. Am Donnerstag soll vor der Berliner PDS-Zentrale demonstriert werden, und am 25. Juni, zwei Tage vor der Verabschiedung des Doppelhaushaltes im Abgeordnetenhauses, planen die Gewerkschaften eine Großdemonstration gegen die Sparpolitik. Thöne: „Ich hoffe, ich sehe euch alle wieder.“

Zum Abschluss lassen die Polizeigewerkschaftsordner ein Transparent, das an mehreren mit Gas gefüllten Ballons befestigt ist, in den Himmel steigen. „GEW und GdP gehen in die Luft“, steht darauf. So weit, so witzig, aber was lehrt die Aktion den Beobachter? Helium ist leichter als Luft. RICHARD ROTHER