herr tietz macht einen weiten einwurf
: FRITZ TIETZ über pfingstliche Ertüchtigung

Heischelied und Heiliger Geist

„Pfingsten / sind die Geschenke am geringsten / während Geburtstag, Ostern und Weihnachten / etwas einbrachten.“ So wurde neulich, Pfingstsonntag war’s, Bertolt Brecht in einer Radiopredigt rezitiert. Ich aber notierte mir sein hübsches Gedicht und sprach zur Tochter (9): „Mein Kind, lerne nur fleißig diese Zeilen auswendig, solange du noch jung und aufnahmefähig bist, dann hast du sie mit Sicherheit dein Leben lang parat.“

Mit diesem papaweisen Ratschlag versuchte ich sie zum Hirnsporttraining zu motivieren, angetrieben vor allem vom Bedauern über den eigenen eher kläglichen Fundus an mir auswendig zur Verfügung stehendem Lied- und Gedichtgut; mich hatte in meiner Jugend niemand zum Verselernen angespornt. Oder hatte ich mich bloß ähnlich bockig verweigert, wie es jetzt die Tochter tat? Ich solle sie gefälligst in Ruhe lassen mit dem blöden „Brechzeug“. Und noch ehe ich nachhaken konnte, war sie auch schon weg und längst unterwegs zum alljährlichen, „Pfingstkar“ genannten Heischedefilee der Dorfkinder: einem kilometerweiten Zug durch die Gemeinde, auf dem es für das Absingen traditioneller Heischelieder (die kann sie auswendig) allerlei Süßigkeiten und noch mehr Bargeld von den Dorfbewohnern abzustauben gibt. Von wegen, Pfingsten sind die Geschenke am geringsten: 36 Euro hat sie in diesem Jahr nebst einem Pfund Schlickerzeug erschnorrt. So viel kann ich ihr für Brechts Pfingstgedicht natürlich nicht bieten. Also bleibt es vorerst unauswendig gelernt.

Immerhin fördert so eine gut zehnstündige Wanderung die körperliche Ertüchtigung des Kindes. Dieses Jahr zog sich die Schnorrstrecke so lang hin, dass abends die Töchterfüße sehr schmerzten und in ihren Beinen ein Muskelkater wühlte. Zum Glück hatten wir über Pfingsten Tante Karin zu Besuch, die die Kunst der Massage beherrscht und also lindernd („Aber erst mal die Füße waschen!“) Hand an die übersäuerten Tochtermuskeln legte.

Auch für mich stand dieses Pfingsten ganz im Zeichen des Sports. Des Pferdesports nämlich, der in unserer Region im breiten Stil betrieben wird. Nicht wenige Kinder übrigens in dieser weiß Gott nicht Arme-Leute-Gegend, die zum Geburtstag, zu Ostern oder Weihnachten, statt etwa eines Fahrrads oder der neusten Ballerspiele, ein Pferd sich wünschen – und nicht selten auch eins bekommen. Oder aber, wenn’s finanziell nicht ganz reicht zum eigenen Gaul, wenigstens den Reitunterricht bezahlt kriegen. Der allerdings auch nicht gerade billig ist. Als Vater zweier Töchter habe ich mich da vorsorglich erkundigt und lege seitdem alles pädagogische Geschick darein, meinen Mädchen rechtzeitig die Pferdeflausen auszutreiben und sie behutsam dem billigeren Schwimmsport zuzuführen.

Dieses Pfingstfest aber machte ich mich auf den Weg, um endlich einmal das berühmte Pfingstturnier des Reitvereins Kleckerwald im benachbarten Bendestorf zu besuchen – und habe es nicht bereut. Das war mal ein selten entspannter Nachmittag, den ich da in stiller und heiterer Atmosphäre unter lauter eng behosten Reitern und überwiegend ponyfrisierten Reiterinnen verbrachte. Hingelümmelt meist auf eine Bank am wunderschön gelegenen Geläuf, wohnte ich so für einige sonnige Stunden dem angenehm schlappen und erfreulich ereignisarmen Treiben eines Springreitturniers bei. Nein, das war kein aufregendes sportliches Ereignis als viel mehr eine die seelische Einkehr fördernde und geistesreinigende, eben pfingstene Meditation. Deren Wirkung ich noch durch einige Portionen Pfälzer Wein zu steigern wusste, der nahebei an einem überdies sehr reizend besetzten Ausschank gereicht wurde. Bis schließlich ein derart heiliger Geist über mich kam, dass ich meine Frau bitten musste, mich abzuholen. Nächstes Mal aber bin ich ganz sicher wieder dabei, wenn der Reitverein Kleckerwald zu einem Pfingstturnier nach Bendestorf bittet.

Fotohinweis:Fritz Tietz, 43, lebt als Nachfahre ostpreußischer Einwanderer in der Nordheide und treibt gelegentlich Sport.