Die Windenergie geht ins Wasser

von NICK REIMER

Jetzt ist das Forschungsschiff unterwegs. Windpark Borkum West heißt sein Ziel, 45 Kilometer nördlich der ostfriesischen Insel, tief in der Nordsee. Verläuft alles nach Plan, sollen hier – im dreißig Meter tiefen Wasser – bis 2003 zwölf gigantische Windmühlen gebaut werden.

Genehmigt ist dieser erste deutsche Windpark zu See schon. Gutachter haben etwaige Auswirkungen auf Vogelschutz oder Risikoszenarien wie eine Ölkatastrophe nach Kollision eines Tankers mit einem Windrad untersucht. Die auftragnehmende Versicherung Germanische Lloyd ermittelte für letzteren Fall ein Risiko von eins zu einer Million. Weder das Institut für Polar- und Meeresforschung noch das Wilhelmshavener Institut für Vogelforschung fanden Hinweise auf ökologisch relevante Auswirkungen.

Entsprechend erteilte das Bundesamt für Schifffahrt und Hydrologie im November eine Baugenehmigung für den Windpark Borkum West. Auch der Planfeststellungsbeschluss für das Stromkabel ist mittlerweile erteilt, berichtet Projektleiter Alexander Klemt von der Firma Prokon Nord. Theoretisch könnte Prokon Nord jetzt die zwölf Turbinen bauen, „am liebsten in der Vier- bis Fünf-Megawatt-Klasse“, sagt Klemt. Das Problem ist nur: Die gibt es nicht. Noch nicht.

Vor den Toren Magdeburgs wird derzeit die weltweit erste 4,5-Megawatt-Test-Windmühle gebaut. Auch wenn Branchenführer Enercon seinen Prototyp wie ein Staatsgeheimnis behandelt, die E-112 ist unübersehbar. 31 Tonnen Stahl wurden im turnhallengroßen Fundament verbaut, 1.000 Kubikmeter Beton im 120 Meter hohen Turm, auf dem die 400 Tonnen wiegende Gondel montiert wird. Der Rotor misst im Durchmesser 112 Meter. Daher der Name.

Die größten Windräder versorgen bislang etwa 1.000 Vierpersonenhaushalte. Mit der E-112 erhöht sich diese Zahl auf 2.500. Wegen der hohen Installations- und Wartungskosten auf See sind Windkraftanlagen solcher Größe technischer Standard für künftige Windparks auf See. In Parks bis über 100 Maschinen zusammengefasst, können sie die Leistung eines Siedewasserreaktors in einem Atomkraftwerk ersetzen.

Bei der Entwicklung stoßen die Ingenieure aber immer wieder an die Grenzen technischer Machbarkeit. „In diesen Größenordnungen wächst die Belastung der Komponenten überproportional“, sagt Enercon-Geschäftsführer Aloys Wobben. Deshalb müssen die neuen Großanlagen zunächst gründlich an Land getestet werden. Wegen des Seegangs wirken auf den Turm eines Windrades gigantische Kräfte. Das Forschungsteam „Gigawind“ unter Leitung der Uni Hannover ist dazu derzeit mit dem Schiff unterwegs (www.gigawind.de). Modellrechnungen zeigen, dass Wellen bei Sturm 85 Prozent der Belastung ausmachen, Wind dagegen nur 15.

Mit dem neuen Bundesnaturschutzgesetz hat die Bundesregierung jetzt Planungs- und Rechtssicherheit für Investoren zu See geschaffen. 29 Anträge auf Offshore-Windparks liegen vor, 22 davon in der Nordsee (siehe Grafik). Hält die technische Entwicklung ihr Tempo, könnte bis 2006 die erste Ausbaustufe realisiert werden. Dann wären 6.500 Megawatt zu Meer installiert, so viel wie bis zum Jahr 2000 in Deutschland insgesamt.

Visionen? Sicher. Die Windbranche hat bis heute aber noch immer bewiesen, dass Visionen ganz schnell Realität werden: Vor zehn Jahren gab Schleswig-Holstein das Ziel aus, bis 2010 insgesamt 1.200 Megawatt Windkraft zu installieren. Überboten wurde es im letzten Jahr.