Das Spiel mit dem nuklearen Feuer

Indien und Pakistan versuchen im Kaschmir-Konflikt, die beunruhigte internationale Gemeinschaft und allen voran die USA für sich einzuspannen

von SVEN HANSEN

Die internationale Diplomatie läuft auf Hochtouren. Seit vergangener Woche geben sich in Islamabad und Delhi wieder Minister und Diplomaten mächtiger Staaten die Klinke in die Hand, während ihre Regierungschefs den pakistanischen und den indischen Amtskollegen telefonisch bedrängen. Gemeinsam versuchen Briten, Russen, US-Amerikaner, Chinesen, Japaner und Franzosen die pakistanische und die indische Regierung davon abzuhalten, die seit Jahresanfang an der Grenze aufmarschierten rund eine Million Soldaten einzusetzen. Seit dem letzten Terroranschlag im indischen Teil Kaschmirs vom 14. Mai droht nicht nur ein vierter Krieg zwischen beiden Nachbarn, sondern, wie Pakistans jüngste Raketentests verdeutlichten, der Atomkrieg. Nach einer neuen US-Studie wäre bei einem vollen nuklearen Schlagabtausch mit neun bis zwölf Millionen Toten und zwei bis sieben Millionen Verletzten zu rechnen.

Der internationalen Gemeinschaft bleiben jedoch nur Appelle, die angesichts der fortgesetzten schrillen Rhethorik der beiden Kontrahenten zunächst nur wenig fruchten. Einen von Russlands Präsident Wladimir Putin vermittelten indisch-pakistanischen Dialog auf der„Konferenz für Zusammenarbeit und Vertrauensbildung in Asien“ in Kasachstan lehnten die Inder inzwischen ab. Immerhin sind Indiens Premier und Pakistans Militärmachthaber zu Einzelgesprächen mit Putin bereit. Ein Treffen mit Pakistans Perves Muscharraf lehnt Indiens Atal Behari Vajpayee weiter ab, solange Pakistan nicht das Einschleusen islamistischer Rebellen in den indischen Teil Kaschmirs verhindert.

Früher verbat sich Delhi jegliche Einmischung in den Kaschmirkonflikt und bestand auf strikter Bilateralität. Derweil setzte Pakistan immer auf eine Internationalisierung, zuletzt im Bewusstsein, dass die beidseitigen Atomwaffen die internationale Gemeinschaft mobilisieren.

Seit dem 11. September hat sich die Situation jedoch verändert. Die USA wurden in der Region zum wichtigen Akteur, um den Islamabad und Delhi jetzt buhlen. Delhi fühlt sich durch Washingtons neues Interesse an der Region selbst aufgewertet und hofft, mit Hilfe amerikanischen Drucks Pakistans Nadelstiche in Kaschmir zu beenden, ohne selbst Zugeständnisse zu machen. Zudem verweist Delhi auf Parallellen zwischen den islamistischen Terroristen andernorts und in Kaschmir, weshalb man sich vorbehält, darauf wie Washington zu reagieren.

Umgekehrt hofft Muscharraf jetzt erst recht auf eine Internationalisierung des Kaschmir-Konflikts und fühlt sich außenpolitisch sicher, weil er Washingtons Hauptverbündeter im Anti-Terror-Krieg ist und davon ausgeht, dass die USA einen Krieg zwischen Pakistan und Indien verhindern müssen.

Um die USA und die internationale Gemeinschaft zu mobilisieren, dient Delhi und Islamabd die berechtigte Angst vor einem Atomkrieg. Dies hat inzwischen nicht nur zu kriegerischer Rethorik, sondern nach dem Anschlag auf das indische Parlament im Dezember auch zur Mobilisierung vor allem indischer Streikräfte geführt. Doch mit jedem Tag, den sie länger auf ihren Einsatz warten, wird es schwieriger, sie ohne greifbare Ergebnisse zurückzuziehen. Je länger die indische Regierung verbal droht, ohne zu handeln, desto schwächer steht sie innen- und außenpolitisch da.

Zurzeit lässt sich ein Krieg wohl noch mit Hilfe des internationalen Drucks verhindern. Zumindest deutet vieles darauf, dass Indien bereit ist, der internationalen Diplomatie Zeit zu geben, Muscharraf unter Druck zu setzen. Doch wie verhält sich Delhi, wenn pakistanische Gotteskrieger einen weiteren Anschlag in Indien durchführen? Delhi hat die nichtmilitärischen Optionen so gut wie ausgeschöpft. Zwar glaubt niemand, dass die islamistischen Kaschmir-Rebellen – wie von Muscharraf behauptet – von Pakistan nur moralisch unterstützt werden. Doch ob Islamabad – wie von Delhi behauptet – diese noch völlig kontrolliert, ist ebenso zweifelhaft.

Großbritanniens Außenminister Jack Straw verwies vor seiner derzeitigen Südasienreise ausdrücklich auf die „klaren Grenzen“ diplomatischer Bemühungen. Er favosiert ein dreistufiges Vorgehen: Zunächst müsse Pakistan den grenzüberschreitenden Terrorismus beenden, dann sollten beide Seiten ihre Truppen an der Grenze reduzieren und schließlich bilaterale Gespräche aufnehmen. Straws gestrige Äußerungen, dass Muscharraf jetzt zeigen müsse, dass er es ernst meine mit der Unterbindung grenzüberschreitender Infiltration, zeigt, dass Pakistan noch das Hauptziel des internationalen Drucks ist.

Das Absurde an den internationalen Bemühungen ist, dass ausgerechnet Großbritannien, Russland, China und Frankreich die Hauptwaffenlieferanten der beiden Konfliktparteien sind. London hat gestern klargestellt, dass eine geplante umfangreiche Lieferung von Kampfjets an Indien nicht in Frage steht.