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Draculas Flucht ins Rampenlicht

aus Schenkendorf KIRSTEN KÜPPERS und ROLF ZÖLLNER (Fotos)

Keiner in Schenkendorf hätte gedacht, dass es so kommt: die Journalisten, die Kameras, die Fernsehberichte. Das alles in einem 1.100-Einwohner-Dorf in Brandenburg, wo sonst kaum was passiert. Aber wer Aufsehen erregen will, muss etwas Besonderes tun. Einer wie Ottomar Rodolphe Vlad Dracula Prinz Kretzulesco weiß das schon lange. Er selbst behauptet zum Beispiel seit Jahren, letzter Nachfahr Draculas zu sein.

Kretzulesco ist 62 Jahre alt, er hat Bräune im Gesicht und ein süßliches Parfüm im schwarzen Haar, für die CDU sitzt er im Schenkendorfer Gemeinderat. Das Ganze war seine Idee, der Einfall, von dem jetzt alle profitieren, die Sensation, die gerade Furore macht in der Welt. „Man muss doch was bewegen“, meint der Graf.

Am 20. März dieses Jahres haben die Bürger von Schenkendorf etwas Spektakuläres getan. Sie haben ein Fürstentum ausgerufen. Ein stolzer Akt der Selbstbehauptung gegenüber der mächtigen Landesregierung Brandenburg. Ein Protest gegen die von Jörg Schönbohms Innenministerium angeschobene Gemeindereform. Die schreibt den Zusammenschluss zahlreicher kleiner Gemeinden zu größeren Verwaltungseinheiten vor. Schenkendorf soll mit einigen Nachbarorten Teil der künftigen Großgemeinde Mittenwalde werden. Die Schenkendorfer sind dagegen. Sie möchten eigenständig bleiben, wo doch im Ort alles funktioniert, so wie es ist.

Reporter aus aller Welt

Zuerst hat Schenkendorf gemacht, was Gemeinden in Deutschland eben so unternehmen, wenn sie gegen eine Gebietsreform sind: Protestschreiben, Musterprozess, Verfassungsklage. Dann führten sie einen Befreiungsschlag, der nicht zum üblichen Programm gehört.

Die Pressekonferenz fand an einem windigen Mittwoch draußen vor dem alten Schlossgebäude statt. Die Schenkendorfer haben feierliche Urkunden an die Journalisten verteilt. Darin verkünden sie den „Beitritt zum Fürstentum Dracula“, falls es zu einer Zwangsvereinigung kommt. Die beiden ehrenamtlichen Bürgermeister und der zweite Mann vom Fußballverein haben die Urkunde unterschrieben, ein paar Fotografen haben Fotos gemacht, ein Team vom Lokalfernsehen war da, Graf Kretzulesco hat in der Einfahrt zum Schloss ein Schild aufgestellt, auf dem steht „Fürstentum Dracula“. Damit war der mögliche Austritt des Dorfs Schenkendorf aus der Bundesrepublik Deutschland beschlossene Sache. Die Schenkendorfer haben gehandelt. Dann ist sie losgegangen, die Medienmaschine.

Fast jeden Tag kommen jetzt Journalisten von überall her mit ihren Autos vor das Schloss gefahren: La Stampa, Libération, Zeitungen aus Holland und Dänemark, die BBC, Reuters, Max, Penthouse, die Berlin-Brandenburg-Ausgabe der Bild-Zeitung druckte acht halbseitige Artikel. Die Reporter stürzten sich auf Kretzulesco. Das wundert niemanden im Ort – am allerwenigsten den Grafen.

Vor sieben Jahren ist der Antiquitäten- und Juwelenhändler aus Westberlin nach Schenkendorf gekommen und hat das Schloss gekauft, einen romantisch heruntergekommenen Kasten aus gelbem Klinker, der zu DDR-Zeiten noch als Ausbildungsstätte für Grenzsoldaten diente. Kretzulesco kam mit seiner Bräune im Gesicht, dem Parfüm und den schwarzen Anzügen ins Dorf und hat die Dracula-Geschichte erzählt: „Ich heiße Ottomar Rodolphe Vlad Dracula Prinz Kretzulesco.“ Weil ihn vor 25 Jahren eine alte Dame aus der Familie adoptiert habe, damit der Name nicht ausstirbt.

Kretzulesco hat sein ganzes Geld in das brüchige Schenkendorfer Schloss gesteckt, hat versucht, hier Gastronomie aufzuziehen mit seinem schicken Namen, einen Themenpark Dracula mit Walpugisnachtfeiern, Mittelaltermusik und Vampirpartys. „Es ist viel schief gegangen“, sagt er selbst.

Wessi, CDUler, Baumbeauftragter

Jetzt sitzt der Graf ohne Geld in seinem kalten Herrschaftshaus, weil schon das Heizen von 46 Zimmern ein Vermögen verschlingt. Ein Wessi aus der Stadt, der sich einzurichten versucht in der unendlichen Leere grauer Nieselregentage der ostdeutschen Provinz. Die Schenkendorfer haben ihn zum Vertreter der CDU und zum Baumbeauftragten der Gemeinde gewählt. „Ganz, ganz kleine Politik“, sagt Kretzulesco. Das Fürstentum ist endlich was Großes.

Ein Plan, der wieder an morgen denken lässt, so viel Energie, wie er freisetzt. Kretzulesco steht hastig vom Stuhl auf, eilt durch den Flur und holt die Beweise: Pässe hat er drucken lassen, auch Autokennzeichen mit weißer Schrift auf blauem Grund, als Muster, wie alles aussehen könnte im Hoheitsgebiet. Ein Wappen gibt es bereits, eine neue Nationalhymne soll komponiert werden, eine eigene Währung, eine eigene Olympiamannschaft und eine eigene Brauerei sind im Gespräch. Man könnte sich von Rumänien zum exterritorialen Gebiet erklären lassen. Der Graf sagt: „Wenn wir keine Träume mehr haben, sind wir tot.“

Der Weg in die schöne Unabhängigkeit ist lang. Im Briefkasten des Schenkendorfer Bürgerbüros ist jetzt ein Schreiben des Innenministeriums mit dem Gesetzentwurf zur Zwangsvereinigung angekommen. „Der blanke Hohn“, schimpft der Bürgermeister. Eine vom Land gesetzte Frist zur freiwilligen Vereinigung der Gemeinden ist am 31. März verstrichen. Nun kann die Regierung die Fusion von oben festlegen. Es wird nicht einfach werden für das Dorf. Auch die Gegenseite hat mit Journalisten geredet. Die Schenkendorfer konnten ein paar nachsichtige Sätze vom Pressesprecher des Innenministeriums in der Zeitung lesen, der ihre Aktion als „netten Gag“ abtat. Sein Chef Jörg Schönbohm lässt ausrichten: „Ich reiche dem Grafen Dracula gerne meine Halsschlagader. An der wird er sich die Zähne ausbeißen.“

Da bleiben die Medien dran, an so einer konfliktreichen Geschichte, zumal die Menschen im Dorf nicht aufgeben. Man könnte sich fragen, warum die Schenkendorfer so erbittert gegen die Gebietsreform sind. Die Antwort: das Fürstentum ist die bessere Alternative.

Für Lutz Krause zum Beispiel, 41 Jahre alt, ehrenamtlicher Bürgermeister im Ort, im Hauptberuf Elektriker. Die Loslösung vom deutschen Staatsgebiet bedeutet ihm nur die konsequente Fortführung des langen Ringens um politische Freiheit. „Wir im Osten haben uns die Demokratie hart erkämpft. Wenn das Prinzip nicht funktioniert, warum soll man dann nicht ein Fürstentum ausprobieren?“ Krause sitzt im Bürgerbüro der Gemeinde, er trägt eine blaue Latzhose und ein kariertes Hemd, hinter ihm an der Wand hängt eine Urkunde zum 50-jährigen Bestehen des Männergesangsvereins, er sieht nicht aus, als wäre er ein Spinner.

Bei einer Zusammenlegung der Gemeinden hätten die Schenkendorfer weniger Mitsprache in der Verwaltung, erklärt Krause. Prinzipiell stehe man zwar schon „mit beiden Beinen auf dem Grundgesetz“. Aber keiner hier wolle zu einer Vereinigung gezwungen werden. Ein renommierter Rechtsanwalt aus Berlin und Freund des Grafen Kretzulesco arbeite daher gerade die verfassungsrechtlichen Möglichkeiten eines Fürstentums aus. Krause legt seine schweren Ellenbogen auf den Tisch. Er wirkt wie ein unverrückbarer Fels jetzt.

Auch Brigitte Böttcher, die Frau des Getränkehändlers, verspricht sich vom Fürstentum ein besseres Leben. „Ich stehe 100 Prozent dahinter“, meint die 45-Jährige, eine Frau, die sich beim Reden mit spitzen Zeigefingern wehrt. „40 Jahre lang wurden wir diktiert. Und das hier ist doch auch ’ne Diktatur, wo Zwang herrscht!“ In einem Fürstentum könnte man stattdessen dafür sorgen, dass ein sauberer Bürgersteig entlang der Straße gebaut wird. Das würde auch Touristen locken. Ihr Mann, der neben ihr steht, fügt hinzu: „Liechtenstein und Monaco sind doch auch Fürstentümer. Das wäre doch ein gutes Aushängeschild für uns.“

Seit die Idee in der Welt draußen ist, funktioniert das Aushängeschild für den Grafen bereits. Auf britischen und amerikanischen Internetseiten wird jetzt für seine Eventgastronomie geworben, dem BBC-Radio hat er erzählt, dass er eine Adoptivtochter sucht für sein Fürstentum, das Telefon steht nicht mehr still. Kretzulesco winkt ab mit flatternder Hand. Man glaubt nicht, dass ihm das Gewimmel wirklich lästig ist. Weil er so hübsch ausgedachte Sätze in die Mikrofone sagt wie: „Die Menschen in der DDR haben auch eine Mauer unblutig einstürzen lassen. Warum soll uns etwas Unvorhergesehenes nicht auch gelingen?“ Weil an diesem Tag schon wieder private Geständnisse von ihm in der Bild-Zeitung stehen. Weil das alles gute Reklame ist für ihn und sein Dracula-Schloss. „Am Wochenende kommen jetzt mehr Besucher“, gibt Kretzulesco zu. Worte, die von Hoffnung zeugen; die den Gedanken vergessen machen, dass dieses Schloss womöglich ein Fehlkauf war.

Herr Ohm bei „Vera am Mittag“

Nur einer im Dorf sagt, dass er gegen das Fürstentum ist. Das hat er auch schon im Fernsehen getan. Helfried Ohm, 47 Jahre alt, der Chef vom zweiten Getränkemarkt im Ort, ein kräftiger Mann in Lederjacke mit wilden Schürfwunden im Gesicht. Als die Schenkendorfer wegen ihres Fürstentums kürzlich in die Nachmittags-Talkshow „Vera am Mittag“ eingeladen wurden, hat Ohm sich auf die Bühne gesetzt und mit dem Grafen gestritten, hat laut gesagt, was das für ein Unsinn ist, die Moderatorin Vera war derselben Meinung. Jetzt lehnt Helfried Ohm selbstbewusst in seinem Laden, streicht sich über den Bauch. Wegen des Fürstentums ist er ins Fernsehen gekommen. Das ist schon etwas, wo man zufrieden sein kann. Wo einem das Ganze doch irgendwie nutzt. „Selbstverständlich bin ich gegen die Gebietsreform“, sagt Ohm dann noch. Und: „Wir werden sehen, wie das unter rumänischer Hoheit ist.“

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