Walser: „FAZ“-Chef selbst „antisemitisch“

Der Schriftsteller Martin Walser bestreitet Frank Schirrmachers Vorwurf, sein Buch sei „ein Dokument des Hasses“

BERLIN taz ■ Ein Buch, das noch nirgends veröffentlicht wurde, hat gestern einen Streit über antisemitische Klischees provoziert, der sogar die Möllemann-Kontroverse in den Schatten stellen könnte. Der FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher beschuldigte in einem offenen Brief den Schriftsteller Martin Walser, dessen neues Werk, „Tod eines Kritikers“, sei „ein Dokument des Hasses“ gegen den Literaturpapst Marcel Reich-Ranicki: „Das Repertoire antisemitischer Klischees ist leider unübersehbar.“ „Ich bin kein Möllemann“, verteidigte sich Walser gegenüber der taz – und warf umgekehrt Schirrmacher vor, die antisemitische Lesart erst in seinen Roman hineinzulegen. Die FAZ hatte den angebotenen Vorabdruck abgelehnt und stattdessen Schirrmachers Brief veröffentlicht.

„Wenn man jeden Satz irgendeiner Konversation irgendeines Romans auf den Hintergrund Holocaust bezöge, dann gibt es nur noch grauenhafte Missverständnisse“, sagte Walser. Er könne nicht nachvollziehen, warum die Charakterisierung seiner Romanfigur als Mann mit „Herabsetzungslust“ auf Juden gemünzt sein solle. „Herr Schirrmacher sagt, das seien jüdisch besetzte Wörter, dadurch ist er für mich antisemitisch.“

Die Vorwürfe gegen Walser unterscheiden sich diesmal deutlich von seiner Kontroverse 1999 mit Ignatz Bubis, der seinerzeit Vorsitzender des Zentralrats der Juden war. Während Walser damals offen ein Übermaß an Auschwitz-Erinnerung kritisierte, sind diesmal die Untertöne seines Textes umstritten. Schirrmacher wirft dem Autor vor, einen „Tabubruch“ mit literarischen Mitteln zu tarnen. Walser bestritt, nach der Methode Möllemann vorsätzlich missverständliche Ideen in die Welt zu setzen: „Mit Herrn Möllemann möchte ich nicht das Geringste zu tun haben. Ich bin kein Möllemann, ich bin Schriftsteller.“ Als solcher habe er lediglich das ambivalente Verhältnis zwischen Kritiker und Autor darstellen wollen. PATRIK SCHWARZ

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