Urteilsmuster vorführen

Nicht den Israel/Palästina-Konflikt, sondern westliche Urteilsmuster illustrieren wollen Symposium, Foto- und Plakatausstellung im Museum für Völkerkunde und der Neuen Gesellschaft

von ANDREAS BLECHSCHMIDT

Kaum ein außenpolitisches Thema wird in Deutschland so emotional diskutiert, wie der Konflikt um Israel/Palästina. Und kein außenpolitisches Thema – wie die Frage nach einer Friedenslösung in diesem Konflikt –scheint besser geeignet als Projektionsfläche für Vorurteile und Ressentiments bis hin zum Antisemitismus, wie die Affäre um Möllemann-Karsli aktuell zeigt.

So müssen die Eröffnung der Fotoausstellung Palästina:Israel. Das Ende der Zukunft? sowie der Plakatausstellung Sharing Jerusalem. Hauptstadt für zwei Staaten an diesem Wochenende im Museum für Völkerkunde und in der Neuen Gesellschaft als Glücksfall gelten. Denn jenseits der allgemein verbreiteten Versuche, einfach zu konsumierende Antworten und Lösungen zu bieten, möchten beide Projekte die Vielschichtigkeit und zuweilen unauflösbar scheinende Widersprüchlichkeit des israelisch-pälastinensischen Konflikts zur Debatte stellen.

Die seit einigen Jahren in Hamburg lebenden Anat Frumkin und Najwa Abdulhaq, eine Israelin und eine Palästinenserin, sind die Initiatorinnen der beiden Ausstellungen. „Wir sind es leid, mit anzusehen, wie Menschenleben auf beiden Seiten zerstört werden. (...) Wir wollen nicht länger schweigend mit ansehen, wie Israel/Palästina und möglicherweise die gesamte Region immer näher an den Abgrund geraten“ erklärten Frumkin und Abdulhaq in einem offenen Brief an verschiedene Hamburger Institutionen, mit dem sie für ihre Projekte geworben haben.

Mit der Neuen Gesellschaft und dem Museum für Völkerkunde haben beide nun engagierte Unterstützung für ihre Projekte gefunden, die nicht nur beispielhaft für den wichtigen Dialog zwischen Israelis und PalästinenserInnen ist, sondern gerade auch die Perspektive auf den spezifisch „deutschen“ Kontext erweitern will. „In der öffentlichen Diskussion in diesem Land wird ein Stellvertreterkrieg mit Worten geführt“, erläutert die für die Neue Gesellschaft an der Ausstellung beteiligte Lerke Scholing. Insbesondere vor dem Hintergrund der Verantwortung für die deutsche Geschichte verbiete sich eine Einmischung in den Konflikt auf der Ebene von gut und böse. Wichtiger sei es, so Scholing, dem Publikum den Zusammenhang zwischen dem Holocaust und dem daraus resultierendem Verhältnis zu Israel und der Entwicklung im Nahen Osten bewusst zu machen.

In der Fotoausstellung sind sieben israelische und palästinensische Fotografen mit über 60 Fotoarbeiten vertreten. Entstanden sind die Aufnahmen zwischen 2000 und 2002. Die Ausstellung, die bereits für eine Veröffentlichung in Israel konzipiert war, konnte wegen ihres kritischen Ansatzes dort bislang nicht gezeigt werden und ist in Hamburg das erste Mal vollständig zu sehen.

Die Bilderauswahl will dabei ausdrücklich keine Illustration des Konflikts bieten. Gerade angesichts der Tatsache, dass gemeinhin die mediale Bebilderung des Konflikts authentische Unmittelbarkeit und Objektivität suggeriert, verweigert sich die Bildauswahl dieser Rezeption. Das erklärte Konzept der Ausstellung besteht vielmehr darin, die fest gefügten Wahrnehmungsmuster als Teil eines Wunsches nach der Solidarisierung mit der „richtigen“ Seite bewusst zu unterlaufen. So hängen Bilder nebeneinander, die in den Augen mancher BetrachterInnen nicht zusammengehören dürfen – wie die Aufnahmen verwüsteter Räume nach einem Selbstmordanschlag und das zerstörte Haus in einem palästinensischen Flüchtlingslager.

Die Qualität solcher Hängung eröffnet jedoch eine Einsicht in die wichtige Unterscheidung, dass nicht Gewalt gleich Gewalt ist, sondern dass Gewalt Gewalt ist. Es geht also weniger darum, die Gewalt beider Konfliktparteien gegeneinander aufzurechnen. Das Augenmerk der Ausstellung richtet sich vielmehr auf das Phänomen Gewalt an sich. Hier wird also nicht eine bebilderte Schein-Ausgewogenheit inszeniert, sondern man versucht, gängige Raster und Schemata der Konfliktwahrnehmung aufzubrechen.

Mit diesem konzeptionellen Ansatz ist auch die Entscheidung der Ausstellungsmacherinnen verknüpft, die ausgestellten Fotos nur sparsam zu kommentieren. Hier werden keine Antworten geliefert, sondern Fragen aufgeworfen, die die BesucherInnen kritisch auf ihre eigenen Sehgewohnheiten und Urteilskategorien verweisen.

Mit diesem Konzept verlangt die Ausstellung viel vom Publikum. Deshalb wird die Eröffnung an diesem Wochenende von einem Symposium mit zahlreichen Vorträgen und Workshops begleitet, die den Kontext der Schau ausführlich thematisieren. Am Sonnabend wird zunächst Moshe Zuckermann, Historiker an der Universität Tel Aviv, über die Rezeption der Shoah unter dem Vorzeichen der Wahrnehmung des Israel-Palästina-Konflikts in Israel und Deutschland sprechen.

Anschließend widmet sich Omar Kamil von der Universität Leipzig der Rezeption der Shoah im arabischen Denken. Später werden Amira Hass, israelische Journalistin und Viola Raheb, Schulrätin der evangelisch-lutherischen Schulen in Jordanien und Palästina, über die gegenwärtige Situation in Palästina/Israel sprechen.

Mit Amira Hass ist zudem eine profilierte Journalistin der liberalen Zeitung Ha‘aretz in Hamburg zu Gast, die – als einzige israelische Medienvertreterin seit Jahren in Ramallah lebend – über die dortige Situation berichtet.

Am Sonntag wird das Symposium unter anderem mit einem Vortrag der Hamburger Psychoanalytikerin Isolde de Vries fortgesetzt, die erst vor wenigen Wochen in die Region gereist ist und über die Traumatisierungen in der palästinensischen und israelischen Gesellschaft berichten wird.

Anschließend besteht in Workshops die Gelegenheit für interessierte BesucherInnen, verschiedene Aspekte zu vertiefen. Somit bietet das Ausstellungsprojekt die seltene Möglichkeit, nicht nur über Betroffene des Konflikts zu debattieren, sondern mit ihnen das Gespräch zu führen.

Symposium: Sonnabend, 1. Juni, 14–18 Uhr, anschließend Begegnung, Musik und Buffet. Fortsetzung Sonntag 10–18 Uhr; Workshops ab 13 Uhr, Museum für Völkerkunde (Rothenabumchaussee 64). - Fotoausstellung Palästina:Israel 2002 – Das Ende der Zukunft?: 1. Juni bis 31. Juli, Museum für Völkerkunde; Di–So 10–18, Do bis 21 Uhr. - Plakatausstellung Sharing Jerusalem – Zwei Hauptstädte für zwei Staaten: 1. bis 30. Juni, Neue Gesellschaft (Rothenbaumchaussee 19 I), Mo–Do 9–17, Fr 9–15 Uhr