Schweres Foul – und das im Abseits

■ Wie man über „Pisa“ diskutieren und gleichzeitig ästhetische Bildung verknappen kann. Jüngster Beweis: Die Theaterpädagogik am Goetheplatz. Auch das Landesinstitut für Schule (LIS) setzt neue Prioritäten

Wer derzeit über einen „Kahlschlag der ästhetischen Erziehung“ in Bremen spricht, kann viele Beispiele anführen – an Schulen und in angrenzenden Bereichen. So ist das Stundendeputat der Landesarbeitsgemeinschaft Kunst auf null reduziert, am Kippenberg-Gymnasium wird der musische Zweig zurückgefahren und das Landesinstitut für Schule hat bald keine Stelle mehr für Spiel- und Theaterpädagogik.

Da erinnert man sich der Diskussion, die kürzlich in der Handelskammer stattfand. Deren Thema: „Warum sind musische Erziehung und ästhetische Bildung ins Abseits geraten?“ Auf dem Podium saßen unter anderem Kultursenator Kuno Böse und Bildungssenator Willi Lemke – der selbstverständlich auf die „außerordentliche Bedeutung und Notwendigkeit eines hohen kulturellen und schöpferischen Niveaus an allen Schulen“ hinwies.

Das jüngste „Abseits“-Opfer ist die Theaterpädagogik am Goetheplatz. Seit 10 Jahren koordiniert dort Irene Löffler (mit zuletzt 16 Wochenstunden) die didaktische Aufarbeitung des Repertoires, gibt Lehrereinführungen, Workshops, Theaterführungen, hat das Zeitungsprojekt „ausverkauft“ auf die Beine gestellt und vieles mehr. Doch nun soll nun Schluss sein. Löffler wird zurück in die Schule versetzt, die beiden ABM-Kräfte (deren Stellen im November auslaufen) bleiben auf sich gestellt.

Vergeblich bemühte sich Intendant Klaus Pierwoß um eine Regelung unter Einbeziehung der Kulturverwaltung. Sein Kommentar: „Ich finde es niederschmetternd, dass sich zwei Senatoren über so eine wichtige Funktion nicht produktiv verständigen können.“ Was Pierwoß „ungeheuer ärgerlich“ macht, auch angesichts des „vollmundigen Redens über die Konsequenzen der Pisa-Studie“: „Man weiß nicht, was man da zerschlägt“ – und das, obwohl beide Senatoren im Aufsichtsrat des Bremer Theaters sitzen.

Pierwoß weiß, wovon er spricht. Als Kölner Schauspieldirektor galt seine Theaterpädagogik als bundesweiter Vorreiter – der Anteil jugendlicher BesucherInnen am Gesamtpublikum erreichte dadurch traumhafte 40 Prozent. Doch schon kurz nach seinem Wechsel nach Bremen wurde dem Goetheplatz der erfolgreich arbeitende Musiktheaterpädagoge gestrichen. Und jetzt grassiert die Befürchtung, dass sogar das MOKS, das gerade Geburtstag feiernde Kinder- und Jugendtheater, zum finanziellen Zankapfel werden könnte.

Offenbar setzt die Bildungsbehörde ihre Prioritäten derzeit in andere Richtungen. Etwa in Form des neuen, aus Nordrhein-Westfalen übernommenem Projekt „Schule und Partner“, in dem es unter anderem um Computereinsatz an Schulen geht. Am LIS, dem Bremer Landesinstitut für Schule, ergibt sich dadurch eine erhebliche Verschiebung des Stundenkontingents – weg von „alten Medien“ wie dem Theater. Bisher wurden hier ReferendarInnen für das Fach „Darstellendes Spiel“ ausgebildet, doch ab kommendem Jahr bleibt die Stelle für Spiel- und Theaterpädagogik unbesetzt.

Einer Statistik der Bildungsbehörde zufolge gibt es an Bremer Schulen 30 LehrerInnen, die zusammen 154 Stunden Theater anbieten. Holger Möller von der Landesarbeitsgemeinsschaft Darstellendes Spiel – die selbst gerade erst haarscharf der Einsparung entgangen ist – hält diese Zahlen für völlig unrealistisch: „Es sind mindestens doppelt soviele Kollegen und Kolleginnen aktiv.“ Der springende Punkt: Wenn das tatsächliche Angebot runtergerechnet wird, besteht auch weniger Ausbildungsbedarf, um die Kontinuität zu sichern. Und tatsächlich argumentiert Rainer Gausepohl als Sprecher der Bildungsbehörde: „Es gibt derzeit keinen ausreichenden Bedarf, um eine Fachleiterstelle Theaterpädagogik am LIS zu rechtfertigen.“ Der Fachbereich Künste am LIS hält das wiederum für einen „Skandal“.

Bei den Betroffenen kommt Frust auf: Da könnten noch so viele Erkenntnisse über die Wichtigkeit von ästhetischer Erziehung für die Persönlichkeits- und Intelligenzentwicklung vorliegen – gekürzt werde trotzdem. Rainer Gausepohl sieht die Sache freilich anders: „Senator Lemke ist entschlossen, die musische Bildung zu verstärken.“

Nur geschehe das eben nicht mit „traditionellen Mitteln“, sondern auf der Basis „flexiblerer Strukturen“ – „es muss nicht immer alles mit teuren Lehrerstunden gemacht werden.“ Die Behörde könne es sich nicht leisten, Lehrer zu bezahlen, die nicht an der Schule sind.“ Sonst könne der reguläre Unterricht nicht sichergestellt werden. Aus Gausepohls Sicht gibt es also wenig Chancen für die in Kulturinstitutionen abgeordneten LehrerInnen.

Die Zeit, als umfangreiche Broschüren wie „das kaleidoskop“ über das opulente Spektrum von „Kunst in Schulen“ in Bremen berichten konnten, scheinen vorbei. Holger Möller: „Die traurige Erfahrung ist: Was in Bremen einmal weggekürzt ist, wird nicht wieder aufgebaut.“

Nun befürchten die von den Kürzungen Betroffenen, dass die Probleme während der Sommerferien ausgesessen werden sollen. Denn eine konkrete Stellungnahme des Bildungssenators lasse auf sich warten – abgesehen von den „sonntags“ geäußerten Statements.

HB Unsere Empfehlung zum Thema: Ein Besuch der Grundschultheatertage im MOKS (3. bis 5.6.) und der anschließenden Landesschultheatertreffen am Goethplatz (bis 8. Juni). Programm: Siehe Tageskalender