berliner szenen In der Mitte des Lebens

Auf Männersuche

H. ist 56 Jahre alt. Eine elegante Frau, die Wert legt auf Pflege von Frisur und Garderobe. Wenn sie Besorgungen macht, geht H. ins KaDeWe. Die Rente reicht für ein Leben in bescheidenem Wohlstand. H. ist Grundschullehrerin, wegen eines Rückenleidens frühpensioniert. Seither gehen die Tage verschwenderisch langsam dahin. H. hält die Schöneberger Mietwohnung in Ordnung, saugt den Teppich, kümmert sich um den Balkon und pflegt die Pflanzen. Der Mann ist vor vielen Jahren gestorben. Mit dem Alleinsein will H. sich nicht abfinden. Sie antwortet regelmäßig auf die Kontaktanzeigen im Tagesspiegel.

Allein im letzten halben Jahr hat sie 14 Männer getroffen. Einer, den sie interessant fand, war Alkoholiker. Ein anderer hatte sexuelle Probleme. Mit dem Letzten ist sie bis nach Lanzarote geflogen. Dort wurde die Liebe zur quälenden Nähe, die man aushalten muss; zu einem dicklichen Mann, der nur befehlen kann; zu langen feindseligen Nachmittagen im Hotelbungalow. Eigentlich hat dieser Werner sie nur herumkommandiert. So sieht H. es jetzt. Sie hofft weiter auf ein Glück in der Zukunft. Jede Woche schreibt sie neue Briefe an verschiedene Inserenten.

„Wie soll ich sonst jemanden finden für mich?“, fragt sie. Oft ist H. stolz, dass sie sich das traut. An manchen Abenden wird die Einsamkeit trotzdem zu groß für das Selbstbewusstsein. Dann geht H. zum Kühlschrank und isst alles auf, was sie findet: Wurstscheiben, kalte Nudeln, kalte Bohnen, den Schnittkäse. H. isst solange, bis ihr schlecht ist. So lange bis sie im Kopf ganz dumpf ist. Ein taubes Selbst in einem vollen Körper spürt die Traurigkeit weniger schlimm. H. ist dann einfach nur müde und geht ins Bett. Sie hat schon viele Diäten hinter sich. KIRSTEN KÜPPERS