Kein Herz für werktätige Fußballfans

Arbeiten statt Fernsehgucken heißt es in Berliner Unternehmen auch während der Fußball-WM, die live nur am Vormittag übertragen wird. Auf Unterstützung durch die Gewerkschaften brauchen die Anhänger nicht zu hoffen

Heute 13.30 Uhr: Anpfiff für das WM-Auftaktspiel in Seoul: Frankreich gegen Senegal. Doch wer live mitfiebern möchte und keinen Urlaub genommen hat, ist schlecht dran. Wegen der Zeitverschiebung laufen alle Übertragungen während der Hauptarbeitszeit. Bricht bei fußballbegeisterten Werktätigen jetzt die Krise aus? Oder zeigen die Arbeitgeber ein Herz für die Fußballfanatiker?

Bei den Berliner Verkehrsbetrieben können die knapp 14.000 Mitarbeiter nicht auf Verständnis hoffen. „Dienst ist Dienst, und Schnaps ist Schnaps“, heißt es resolut. „Unsere Leute sollen sicher Bus und Bahn fahren, nicht Fußball gucken“, sagt Sprecherin Barbara Mansfield. Nur an die Kunden haben die BVG-Chefs gedacht: Auf den Monitoren in den U-Bahnen werden die Fahrgäste über die Ergebnisse der WM-Spiele informiert.

Bestens informiert wird auch, wer in einem der zehn Krankenhäuser des Vivantes-Klinikkonzerns sein Bett hat. Jedes Krankenzimmer ist mit Fernseher ausgestattet. Patienten müssen nicht fürchten, dass sie der Arzt am Krankenbett zurücklässt, sobald die deutsche Mannschaft sich dem gegnerischen Tor nähert.

„Die OPs laufen weiter“, versichert Vivantes-Sprecherin Fina Geschonneck. „Die Patienten gehen in jedem Falle vor.“ Sie erwartet, dass sich Patienten und Mitarbeitern „lebhaft“ über die WM austauschen werden.

Die gesundheitliche Versorgung ist gesichert, doch wie sieht es mit der Stromversorgung aus? Die Bewag, Hertha-Sponsor und laut Eigenwerbung „größter Unterstützer des Berliner Sports“, zeigt wenig Herz für Mitarbeiter im WM-Fieber. Es gibt keine Fußball-Sonderregelungen. „Sie wollen ja auch Tag und Nacht Strom haben“, wirbt Sprecher Uwe Lemm für den rigiden Kurs seines Unternehmens.

„Unsere Mitarbeiter sind eh den ganzen Tag auf der Straße unterwegs, da erübrigt sich ein Fernseher“, sieht sich die Berliner Straßenreinigung (BSR) vor Fußballfrust bei ihren Mitarbeitern gefeit. Lediglich für den „Tag der offenen Tür“ im BSR-Betriebshof auf der Malmöer Straße am Samstag habe man sich mit einem Fernsehgerät gewappnet, gibt Sprecher Bernd Müller zu.

Bleiben die Gewerkschaften als Interessensvertreter der Arbeitnehmer. Doch auch hier Fehlanzeige. „Das müssen die Betriebe und ihre Mitarbeiter selbst regeln. Wir haben andere Sorgen“, erklärt DGB-Landesvize Bernd Rissmann. Schließlich gäbe es auch in der eigenen Geschäftsstelle keine Möglichkeit, die WM zu sehen. „Wir haben nicht so viele Fanatiker“, meint Rissmann, selbst aktiver Fußballer: „Ich bin der einzige.“

Wie viele Fanatiker es überhaupt gibt, versucht zurzeit Ver.di mit einer Online-Umfrage zu erkunden. „Sollte es am Arbeitsplatz die Möglichkeit geben, Spiele der Fußball-WM live zu sehen?“, heißt es auf der Homepage. Bisher führt ein klares „Nein“ die Antwortliste mit 47,9 Prozent an, die Befürworter erreichen 39,2 Prozent. HEI/ MAX