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: Die wunderbaren Abgründe der Golfobsession

Hole-in-One mit Worten

Peter Christie, ambitionierter Hobbygolfer, macht den Schlag seines Lebens: an die 200 Meter aus dem Rough, punktgenau getroffen, perfekte Flugbahn, direkt neben der Fahne gelandet. Christie triumphiert. Das war wohl der entscheidende Schlag im Finale um die Clubmeisterschaft, die ausgerechnet an seinem Hochzeitstag stattfindet. Peter hatte während der 18-Loch-Runde ständig an seine golfhassende Gattin Helen gedacht, ein giftiges Lästermaul („die Spaßpolizei“), und immer heftiger gegrübelt, zuletzt sogar Helens Gesicht in den kleinen Ball hineinfantasiert. Er war verbissen, abgelenkt, unkonzentriert. Und hatte aus Unachtsamkeit ausgerechnet an diesem entscheidenden letzten Loch versehentlich den Ball seines tumben Gegners Terry gespielt: Loch verloren, Match verloren, Aus.

So endet dieser köstliche, grotesk selbstironische (und in Teilen authentische) Roman des neuseeländischen Autors Martin O’Connor über einen Maniac der Fairways, einen Geprügelten seiner Leidenschaft. In den keineswegs zufällig genau 18 Kapiteln des Buches erzählt O’Connors Alter Ego, wie es den Garten daheim durch permanente Übungsschläge ruiniert hat, wie es nachts heimlich unter einer Straßenlaterne seines Dorfes übt, wie Freunde und Nachbarn an seinem Verstand zweifeln. Golfer denken immer an Golf: „Wir betrachten Gärten, insbesondere öffentliche Parkanlagen, immer als vertane Möglichkeiten.“ Wenn man diesen Satz, gerade als Golfer, zufällig auf einer Parkbank im Englischen Garten in München liest, den Blick über wunderbare weite Wiesen, hat man das Buch schallend lachend schon in sein Herz geschlossen.

Peter Christie ist auch ein nachdenklicher Mann. Er weiß um Golfs Wirkung, Ablenkung, Täuschung: „Ganz egal, wie kläglich mein Privatleben sein mag, wenn ich ein Birdie erziele oder einen guten Anschlag hingekomme, hebt das umgehend meine Stimmung und kein Problem der Welt scheint mehr unlösbar.“ Und er ist ein wunderbarer Hypochonder: „Egal wo ich bin: Sobald ich einen noch so unbedeutenden Unfall habe, überprüfe ich als Erstes, welche Auswirkungen er auf meinen Schwung hat.“ Und er beschreibt seinen Hüftschwungtest in der Warteschlange, nachdem er sich am Supermarktregal gestoßen hat und wie er herumhampelnd das Theaterpublikum nervt nach einer Knieprellung am Stuhl.

Golfer wissen, und Nichtgolfer können es hier höchst unterhaltsam verstehen: 18 Bahnen spielt man und kann sich dabei leicht aus der Bahn werfen lassen. Oder eben neue Wege finden, jenseits von Drives und Putts. Der richtige Schwung ist beim Golf entscheidend und auch im Leben drumherum.

Noch kein Text hat bislang (neben dem Sachbuch „Golf und Psyche“ von Michael Murphy, Kabel-Verlag) die Golfobsession so punktgenau getroffen. Ein schwarzhumoriges Hole-in-One mit Worten. Christies leidvolle Clubmeisterschaft ist dabei nur Mittel zum Zweck. Denn eigentlich geht es in seinen Erinnerungen und Gedankensprüngen um das Dasein selbst – um Liebe, Nähe, Träume und die Liaison aus Liebesleben und Golfsport: „Denkst du jemals an Golf, wenn wir miteinander schlafen?“, fragte Helen einmal. Peters provozierendes Spaßgeständnis: „Wenn ich dich in den Armen halte, stelle ich mir vor, ich umarme einen Golfschläger.“ Und grundsätzlich: „Postkoitale Depression ist wie das 18. Loch beenden.“

„Golf oder Liebe“ ist fachkundig übersetzt, indes trifft der englische Titel „Golf without guilt“ (Golf ohne Schuld) deutlich besser. Es geht beim Golfen oft auch um Schuldgefühle und schlechtes Gewissen: Durch den Hass der Gattin auf „dieses blöde, erbärmliche Kleine-Jungen-Spiel“ fühlt sich Christie „verpflichtet, Golf als eine bizarre Form des Ehebruchs zu verstehen. Ein gelegentliches Spiel betrachte ich als leidenschaftliche Umarmung in der Besenkammer, ein Wochenende in einem Golfhotel erscheint mir, als ob ich meine Sekretärin auf eine Konferenz mitnähme und wenn mich jemand beim Lesen eines Golfbuchs erwischt, habe ich das Gefühl, beim Durchblättern eines Pornoheftchens ertappt zu werden.“

BERND MÜLLENDER

Martin O’Connor: „Golf oder Liebe“. Mana-Verlag, Berlin 2002, 176 S., 17,80 €