EU-KOMMISSAR VITORINO ÄNDERT KURS IN DER AUSLÄNDERPOLITIK
: Verbeugung vor den Stammtischen

Alle Anzeichen deuten darauf hin, dass Flüchtlinge, die an die Pforten des reichen Europas klopfen, in Brüssel einen Freund und Fürsprecher verloren haben. Innenkommissar Antonio Vitorino, der bislang mit seinen gastfreundlichen Entwürfen zur Asyl- und Migrationspolitik die Innenminister der Mitgliedsstaaten ärgerte, ist eingeknickt.

Bisher malte der Portugiese gern das Problem des „Asylshoppings“ – also die Gefahr, dass EU-Länder mit ausländerfreundlichen Gesetzen zum Anziehungspunkt für Migranten werden – an die Wand, um den europäischen Innenministern einheitliche Mindeststandards für Flüchtlinge schmackhaft zu machen. Davon ist jetzt nicht mehr die Rede. Dafür strich Vitorino Anfang Mai einen von Otto Schily heftig bekämpften Paragrafen aus dem Richtlinienvorschlag über die Familienzusammenführung von „Drittstaatlern“, also Ausländern, die nicht aus der EU stammen. Damit wird das neue deutsche Ausländergesetz mit EU-Recht vereinbar. Es erlaubt nur in Ausnahmefällen, dass Nichtdeutsche ihre Kinder nachholen dürfen, wenn diese über zwölf Jahre alt sind.

Eine weitere Verbeugung vor den Le-Pen-Anhängern und Fortuyn-Fans in der EU machte Vitorino am vergangenen Mittwoch. Während er bislang stets auf schrumpfende Geburtenraten und leere Rentenkassen verwiesen hatte – Motto: Nur die Immigranten können helfen, den Generationenvertrag zu erfüllen –, behauptet der Kommissar nun auf Basis desselben Datenmaterials das Gegenteil. Einwanderer können die europäische Alterspyramide eben doch nicht abstützen. Statistiken sind ja bekanntlich geduldig. Die europäische Presse informierte der ansonsten extrem auskunftsfreudige Kommissar über seine brisante Kehrtwende nicht.

Der Rechtsruck bei Europas Wählern hat geschafft, was die Terrorattacke auf New York nicht vermochte: Die EU-Kommission beugt sich dem Druck der Stammtische und ändert ihre Grundlinie in der Flüchtlings- und Einwanderungspolitik. „Asylshopping“ ist kein Thema mehr. Nun gilt EU-weit, worauf deutsche Politiker schon immer großen Wert legten: Euroland ist kein Einwanderungsland. DANIELA WEINGÄRTNER