Hungernde Bäume

Monilia-Spitzendürre, Minier-Motte und Birnengitterrost raffen Tausende von Hamburger Bäumen dahin. Harken und Hoffen, raten Fachleute, nächstes Jahr könne es wieder gut sein

von KAIJA KUTTER

Oje. Nachbarin tritt an den Zaun. Was ist diesmal? Fenster nicht geputzt, Rasenkanten nicht gestutzt? Die alte Dame hebt ein braunes Blatt vom Boden auf, blickt sorgenvoll in den Himmel und dann in unseren Vordergarten: „Was haben Sie mit ihren Bäumen gemacht?“ Tatsächlich, die beiden majestätischen japanischen Zierkirschen, die Vorvorbesitzer S. – sie kannte ihn noch – vor über 50 Jahren pflanzte, lassen jedes zweite Blattpaar hängen. Traurig braun verschrumpeln die Spitzen der Bäume, die noch vor wenigen Wochen prachtvoll rosa blühten.

Da muss man was tun? „Am besten die kranken Triebe abschneiden, hört sich nach einem Pilz an“, sagt der Gärtner aus dem Branchenbuch am Telefon. Oje. Die Bäume sind haushoch und riesengroß. Was es denn koste, wenn er dies mache? 33 Euro die Stunde. Eindeutig zu teuer. Also sind wir Rabenbaumbesitzer und beschließen, die Sache den Selbstheilungskräften der Natur zu überlassen.

Oder doch nicht? Einmal auf die Leiter gestiegen und ein bisschen rumgeschnippelt. Von den braunen Blattstielen treufelt ein durchsichtiger Saft. Mutet eklig an, ist aber ein gutes Zeichen, weil eine natürliche Abwehrreaktion, wie wir später erfahren. Wie überhaupt die ganze Sache sich später aufklären sollte. Denn eine Radtour in die umliegende Straße offenbart: Wir sind nicht die einzigen Rabenbaumbesitzer. Die ganze Nebenstraße ist gesäumt mit Zierkirschen, jede lässt die Blätter kräuseln. Auch in weiteren Straßen offenbart der kritische Blick kränkelnde Zierkirschen mit hängenden braunen Blättern. Dies rechtfertigt eindeutig einen Anruf beim Wandsbeker Gartenbauamt. Und siehe da. Der für Straßenbäume zuständige Herr kriegt dieser Tage „dauernd Meldungen über kranke Zierkirschen“. Besonders betroffen sei die großwüchsige Sorte „Kanzan“. In Wellingsbüttel seien gar sechs Baume gestorben. „Monilia-Spitzendürre“ heiße der Pilz, der sich dank der feuchten und kühlen Witterung während der Blütephase in diesem Frühjahr besonders ausbreitete.

„Die Bäume hungern, ihnen fehlt mit den abgestorbenen Blättern das Photosynthesematerial“, erklärt Lutz Hoffmann vom alternativen Baumschneidedienst „Astwerk“. Er selbst habe gerade erst wegen der häufigen Anfragen seinen Gutachter dazu befragt. Ergebnis: „Da ist nicht viel zu machen.“ Man könne zwar als „hygienische Maßnahme“ die Blätter abpflücken und wegharken, „aber das heilt nicht“.

„Monilia ist in diesem Frühjahr sehr ausgeprägt“, sagt auch Gregor Hilfert vom Amt für Pflanzenschutz der Universität, das auf seiner Homepage über alle aktuellen Pfanzenkrankheiten informiert. So schädigt die vor zehn Jahren per LKW aus Mazedonien eingeschleppte Minier-Motte die Kastanien, viel Obstbäume leiden am „Birnengitterrost“. Der Gartenbauingenieur empfiehlt ebenfalls, die kranken Blätter weitestgehend wegzuharken und zu entsorgen – keinesfalls in den Kompost – weil der Monilia-Pilz als Wundparasit auch Äpfel und Pflaumen schädigt. Wie alle anderen Experten auch hat Hilfert aber eine gute Nachricht: „Die Bäume sind nicht verloren.“ Monilia bedeutet kein Todesurteil.

Die geschwächten Bäume werden zwar anfälliger für Krankheiten, „es kann aber im nächsten Jahr vorbei sein“, sagt auch Baumschneider Hoffmann. Eine rettende Maßnahme wäre das Besprühen mit Fungiziden bei der Blüte im nächsten Frühjahr. „Vorher kann man da gar nichts tun.“

So gerüstet mit Informationen aus erster Hand kann ich mich wieder an den Gartenzaun trauen. Wir harken ein bisschen die Blättchen weg. Mehr können wir nicht tun. Wir haben gar nichts „gemacht“ mit unseren Bäumen. Monilia ist Schuld.