Kusch-Doktrin

G-Move-Prozess: Staatsanwaltschaft legt gegen den selbst beantragten Freispruch Rechtsmittel ein

Für Roger Kusch, seinerzeit Justizsenator in spe, war im vorigen Jahr der Vorfall ein Wahlkampf-Thema. „Justiz lässt Mörder frei“, titelten treu seiner Diktion die Boulevardgazetten. Dass die Entscheidung der RichterInnen schon damals weise war, den nach einer Messerstecherei beim G-Move festgenommenen Türken Ahmet Ö. nicht einzubuchten, sondern ihm bis zum Prozess Haftverschonung zu gewähren, stellte sich nun heraus: Die Schwurgerichtskammer 1 sprach Ö. am 16. Mai vom Vorwurf des Totschlags auf Antrag der Staatsanwaltschaft frei. Grund: Notwehr. Ö. wurde nur wegen unerlaubten Waffenbesitzes zu neun Monaten Bewährungsstrafe verurteilt. Doch nun hat dieselbe Anklagebehörde gegen den Spruch „im vollen Umfang“ Revison beim Bundesgerichtshof (BGH) eingelegt.

Die Revision trägt die Unterschrift von Oberstaatsanwalt Martin Köhnke. Datum: 23. Mai. Aber nicht nur die Tatsache, dass die Frist zur Revision voll ausgeschöpft wurde und dass der Chef das Zepter selbst in die Hand genommen hat, deuten auf Kontroversen hinter den Kulissen. „Die Strafverfolgungsbehörde tritt als Ganzes auf, im Verfahren ist die Sitzungsvertreterin in ihren Entscheidungen aber frei“, begründet Behördensprecher Rüdiger Bagger das Vorgehen und bagatellisiert den Vorgang: „Wir haben 18 Monate wegen Waffenbesitz gefordert, bekommen hat er nur neun.“ Wenn das schriftliche Urteil schon geprüft werde, sei es nur schlüssig, so Bagger, dass „wir die Frage der Notwehrlage einer neuen Prüfung und Bewertung unterziehen“.

Dass es eine politische Einflussnahme durch Kusch gab, pfeifen nicht nur die Spatzen von den Dächern, das wird indirekt eingeräumt. „Ich will nicht ausschließen, dass der Senator mit der Staatsanwaltschaft geredet hat“, sagt Justizbehördensprecher Kai Nitschke. „Dass er eine Anweisung gegeben hat, kann ich nicht bestätigen.“ Es gelte der Grundsatz: „Zu innerbehördlichen Abstimmungen wird keine Stellungnahme abgegeben.“ Für Ö.s Anwalt Manfred Getzmann ist der Vorgang „ein Hammer“, obwohl er der Revision kaum Chancen gibt: „Dann müsste der BGH seine bisherige Rechtssprechung kippen.“ KVA