Träumen im Kleinformat

■ Vom Leben in der Betonsiedlung: „Dämmerung“ ist die erste Inszenierung der Nachwuchsgruppe Tank 1. Im MOKS zeigte sie dichtes Schauspiel mit reduzierten Mitteln

Träumen darf man nur auf dem Dach des Parkhauses. In der öden Hochhaussiedlung, in der Tom, Leila, Luc und Prinzessin leben, ist kein Platz für Illusionen. Und wer davon doch zu viele hat, lebt gefährlich.

„Wer von großen Träumen spricht, der kann sie auch verwirklichen“, glaubt Tom. Das Stück „Dämmerung“, das am Donnerstag im MOKS Theater Premiere hatte, erzählt vom Leben in einer Betonsiedlung, das keine Perspektiven bietet. Eines Tages wird der Bruder von Leila (Ursula da Silva) tot vorm Parkhaus gefunden.

Niemand weiß, ob er sich selbst vom Dach gestürzt hat oder ob er gestoßen wurde. Außer Tom (Till Bleckwedel) vielleicht, der regelmäßig mit Hakim auf dem Dach war, um ihrem gemeinsamen, großen Traum von Gerechtigkeit nachzuhängen.

Doch: „Übrig bleiben nur die kleinen Träume“, sagt Tom. Das scheint auch für die anderen Figuren zu gelten. Lucs (Kai Lenke) höchstes Ziel im Leben ist, Geld mit seinem Kampfhund zu verdienen. Es gelingt ihm nicht. Prinzessin (Hanna Piotter) verzieht sich in ihre eigene Gedankenwelt, in der sie die Welt in gut und böse unterteilt. Und Leila hat auf die Frage nach ihren Träumen nichts als ein trauriges Lächeln übrig.

Wunsch und Wirklichkeit stehen sich in diesem Stück unvereinbar gegenüber. In Toms Worten ausgedrückt: „Die, die sich von oben abwerfen, haben es nicht geschafft, ihre Träume abzuwerfen.“

Statt ihre Wünsche zu realisieren, müssen die Figuren die Perspektivlosigkeit des Lebens akzeptieren. Verlieren sie sich zu sehr in ihren Träumen, sterben sie wie Leilas Bruder. Oder sie sind sogar bereit, zur Waffe zu greifen. So wie Prinzessin, die heimlich eine besitzt.

Die Inszenierung ist eine Bearbeitung von Lionel Spychers „Pit-Bull“. Zum ersten Mal präsentiert sich damit „Tank 1 – Plattform für junge Theatermacher“. Junge Erwachsene ab 18 Jahren haben in der Gruppe die Gelegenheit, ein Theaterstück unter der Anleitung der MOKS-Profis selbst zu produzieren.

Die erste Produktion dieser Gruppe ist durchaus gelungen, mit reduzierten Mitteln setzen die jungen TheatermacherInnen das Stück überzeugend um. Am Anfang steht nichts anderes als ein Mülleimer auf der Bühne.

Erst mit dem Auftritt der vier Figuren, wird auch ein blaues Ledersofa mitgebracht. Mehr Requisiten benötigt das Theater „Tank 1“ nicht.

Besonders schön ist die Idee, Stimmungswechsel im Stück mit veränderten Lichtfarben zu unterstützen: Die Figuren werden in rotes Licht gehüllt, wenn sie eine freundliche Geste oder ein Lächeln austauschen. Und zwei weiße Spots werden auf Luc und Tom gerichtet, wenn sie sich kumpelhaft über den Kampfhund von Leilas Bruder unterhalten. Ein Blick in die Vergangenheit, als die Welt noch in Ordnung schien.

Die Schauspieler tragen die atmosphärisch dichte Inszenierung. Till Bleckwedel gelingt es, auch die zum Teil steifen Sätzen der Vorlage natürlich klingen zu lassen.

Ursula da Silva besticht durch außergewöhnliches Einfühlungsvermögem. Ihre stärkste Szene: Vor Beginn der eigentlichen Handlung steht sie allein auf der Bühne, um mit einem verlegenen Lächeln ein Foto aus dem Mülleimer zu holen. Am Ende schmeißt sie es wieder hinein. Wie einen verworfenen Traum.

Anne Reinert

„Dämmerung“ ist Samstag abend um 20 Uhr im MOKS–Theater zu sehen. Karten gibt es unter 365 3345