Dreck am Stecken

■ Der Publizist Ernst Klee erzählte von der Verstrickung hoher Würdenträger und Institutionen in die Vernichtungsmaschinerie des Nazi-Regimes

Wegen ihm musste schon so manche Büste in den Keller getragen werden. Bei seinen Recherchen über Medizinverbrechen im Nationalsozialismus entdeckt der Publizist Ernst Klee immer wieder unangenehme Tatsachen in den Lebensläufen hoch angesehener Persönlichkeiten. Auch die Verwicklung von Kirchen, Justiz und Institutionen wie der Max-Planck-Gesellschaft mit Nazi-Verbrechen und -Verbrechern deckte Klee auf. Mit seinem neuen Buch „Deutsche Medizin im Dritten Reich. Karrieren vor und nach 1945“ liefert er viele bisher unbekannte Fakten. In dem Buch geht Klee besonders auf die Fortsetzung der Karrieren vieler Nazi-Doktoren nach Ende des Zweiten Weltkriegs ein. Klee zeigt auf, wie Ärzte, die Massenmorde billigten oder gar anordneten es nach dem Krieg schafften, weiter zu praktizieren und teilweise mit höchsten Auszeichnungen bedacht zu werden.

Einen Eindruck seines Buches vermittelte er am Donnerstag bei einem Vortrag im Rathaus. Eingeladen hatte das Krankenhausmuseum am Zentralkrankenhaus Ost anlässlich des Gedenktages für die Opfer der NS-Psychiatrie und -Gesundheitspolitik.

Mit eindringlicher, leiser Stimme bringt Klee Fakten, Namen, Daten. Psychiater, die die Massenmorde an psychisch Kranken als willkommene Gelegenheit sahen, ihre unangenehmsten Patienten los zu werden. Hochrangige Nazi-Funktionäre, die sich vor Gericht als „Opfer des Nationalsozialismus“ stilisierten oder behaupteten, „als Gegner des Nationalsozialismus bekannt“ gewesen zu sein. Forscher, die KZ-Aufsehern Anweisungen gaben, wie viele tote Häftlinge sie als Forschungsmaterial haben wollten. Institutionen wie das Max-Planck-Institut, zahlreiche Universitäten und auch kirchliche Einrichtungen, die nach 1945 diese Menschen beschäftigten.

Da er gerade in Bremen ist, weiß er heute vor allem viel über Bremer zu berichten. Oder über Personen, die mit Bremen zu tun hatten. Zum Beispiel eine Biologin, die in der NS-Zeit als Augenspezialistin bei Menschenversuchen mitgewirkt hatte und in der Nachkriegszeit jahrelang als Biologie-Lehrerin an einer Bremer Schule arbeitete. Oder über einen Mitarbeiter von Himmlers Sicherheitsdienst, der nach dem Krieg im Bremer Oberlandesgericht die Aufgabe hatte, Nazi-Verbrechen aufzuklären. Ganze Lebensläufe erzählt Ernst Klee da, bis ins Detail recherchiert. Er drückt seine Betroffenheit aus über das Geschehene, macht seine eigenen Assoziationen und Forschungsmethoden nachvollziehbar – der Rest sind Fakten. Keine Erklärungen, keine Interpretationen. Die Schlussfolgerungen bleiben den ZuhörerInnen überlassen, denn der Publizist will „nur sagen, was ich weiß“. Und so will er auch verstanden werden, wenn er ausdrücklich den Vergleich der modernen Humangenetik mit der NS-„Rassenhygiene“ zieht. Denn das Idealbild des Menschen sei auch bei den Nazis ausschließlich „der biologisch funktionierende Mensch“, der auf seine Gene reduziert werde. „Dass Menschen sich entwickeln können, hat in dieser Ideologie keinen Platz“. Vivien Mast