Der mit den Vögeln spricht

Seit er einer Nebelkrähe das Leben gerettet hat,unterhält sich Reinhart Brandau oft mit wilden Vögeln. Am Weyerberg in Worpswede unterhält er sogar eine private Vogelklinik. Ein Bericht von Daniel Toedt

Da steht die Amsel, auf ihrem einen, mit Schuppen überwucherten Bein auf der Fensterbank und beobachtet, wie die Artgenossen draußen durch den Apfelbaum tollen. „Juri hofft, dass von denen keiner sein Reich entert“, schmunzelt Reinhart Brandau über seinen einbeinigen Hausgenossen. „Der Juri ist schwer zu verstehen aber gut zu tolerieren“, sagt er. Seit vier Jahren wohnen die beiden schon dicht an dicht. Da kennt man sich.

Dann schließt er zur Sicherheit die Wohnzimmertür, um sich seinem neuen Notfall zu widmen. Ein Bremer Tierarzt gab die Amsel mit Kopfverletzung im Mackensen Haus in Worpswede ab.Hoffnungslos sei der Fall eigentlich gewesen. Doch nach einigen Tagen unter Rotlicht ist der Vogel aus dem Koma erwacht und kommt seitdem immer mehr zu Kräften. Alle halbe Stunde serviert Brandau ihm kraftspendende Häppchen.

Die Amsel wehrt sich zwar mit beiden Beinchen gegen die Mehlwürmer und eingeweichte Rosinen. Aber Brandau bugsiert mit der Pinzette alles geschickt in den Schnabel. Plötzliches Schnabelklappern übersetzt er mit: “Hau ab, sonst beiß` ich dich.“

Dass die Amsel ausgerechnet ihren Retter als Feind zu betrachtenscheint, kränkt Brandauer ein bisschen. “Vielleicht ist sie geisteskrank.“ Seine Liebe zu den fliegenden Geschöpfen hat vor fünfzehn Jahren begonnen. Der 64-jährige Worpsweder hatte eine Nebelkrähe nach ihrem Sturz aus dem Nest aufgezogen - und die war ihm vier Jahre lang treu geblieben. „Ich begann zu lernen, dass Vögel ein Bewusstsein haben.“

Seit das Fernsehen den freischaffenden Künstler mit dem guten Draht zur Vogelwelt bekannt gemacht hat, karren Menschen aus ganz Norddeutschland verunglückte Wildvögel in seine kleine Vogelreha am Fuße des Weyerberges.

500 Patienten umsorgte Brandau in den vergangenen zehn Jahren, darunter einen Schwan mit vereistem Schnabel, einen Kiebitz mit Schrotkörnern in Gefieder und einen flügellahmen Graureiher. Seitdem meint er, jede Regung dieser Tiere deuten zu können. „Die Sprache der Vögel ist universell.“ Wenn Brandau den wilden Garten vor seiner Haustür betritt, lauscht er den Stimmen aus den Baumkronen. „Ich mag dich, du bist doof, hau ab oder komm her“, hört er dann. Ein Meisenmann habe sich sogar jedes Mal ausdrücklich für die verfütterten Mehlwürmer bedankt. „Das macht nicht jeder. Vögel sind sehr individuell. Da gibt es gewaltige Charakterunterschiede“.

Brandau spricht mit jedem Vogel, egal ob er im Garten steht oder vor dem Supermarkt. Besondere Beziehungen aber pflegt er mit seinen Vogelpatienten. Mit der Elsterdame Ellie führt er, wie er grinsend bemerkt, ein eheähnliches Verhältnis. In der Volière, arbeitet Ellie zur Zeit am gemeinsamen Nest: „Sie findet Männer toll.“ Und wie: Beinahe kokett tänzelt sie zur Begrüßung über einen freischwebenden Ast. „Yap.Yap“ ruft Ellie, bis Brandau sie endlich am Bauch krault. Die Elster streckt sich zufrieden und als sie „Yiirp. Yiirp“ singt, bricht Brandau ins Lachen aus - „das war jetzt die Aufforderung zur Befruchtung.“

Im angrenzenden Volièrenraum wackelt eine flügellahme Ringeltaube umher und im Vordertrakt hockt eine daumengroße graue Amsel im aufgeschütteten Laub. Seit zwei Wochen ist die junge Amsel hier und nun soweit, das Leben in freier Wildbahn einzuüben. Als Survivaltrainer legt ihr Brandau die lebendigen Maden und Käfer nur noch vor die Krallen statt in den Schnabel. „Sie muss sich alleine ernähren, bevor ich sie auswildern kann.“

Brandau sitzt gerne zwischen seinen ständig singenden Vogelgästen und schreibt. Seit vier Jahren arbeitet er an einem Jugendbuch. Er möchte ein Bewusstsein dafür schaffen, was die Vogelstimmen erzählen, zwischen dem Lärm der Menschen. „Ich will den Abgrund zwischen den Lärm der Menschen. „Ich will den Abgrund zwischen Mensch und Natur überbrücken“, sagt er. Aber ihm bleibt kaum eine freie Minute zwischen dem halbstündigen Rhythmus der Fütterungen bleibt ihm aber kaum eine freie Minute. „Aber ich mache nichts Wundersames,“ bemerkt er nüchtern. „Es muss ja getan werden. Die brauchen Futter und Pflege, damit sie überleben.“