1806 begann der Unterricht mit einem Schüler

Eigentlich ist die Blindenschule in Steglitz viel älter. Dennoch feiert sie ihr 125-jähriges Bestehen. Jeder wird nach seinen Fähigkeiten gefördert

Sanft streicht Gabi Lachmann-Höhne über Marcs Arme und begrüßt ihn. Der Zweijährige lacht. Er kann die Sonderschulpädagogin nicht sehen, nur ihre Stimme hören und ihre Berührung fühlen. Die Lehrerin der Steglitzer Johann-August-Zeune-Schule für Blinde packt einen gelben starren Plastikschlauch aus ihrer Tasche und drückt ihn Marc in seine Hand. „Mit seinen Augen kann er ihn nicht wahrnehmen, deshalb gebe ich ihm das Spielzeug“, so die 54-jährige Pädagogin. Er tastet aufmerksam.

Kurz nach seiner Geburt erkrankte Marc an einer Hirnhautentzündung und erlitt einen Hirnschaden. Neugierig will sie die Kinder machen, sagt Gabi Lachmann-Höhne. Mit Spaß will sie mit ihnen Plastikbälle, Folien, Bürsten und Rasseln ertasten und erfühlen. Mit einer Taschenlampe strahlt sie den geriffelten Schlauch an. „Ich will das Restsehvermögen fördern.“ 20 Kinder besucht sie in der Woche zu Hause, um deren Sinne in vertrauter Umgebung zu sensibilisieren. „Unser jüngster Schüler ist ein paar Wochen alt, der älteste über 80 Jahre“, so Thomas Kohlstedt, stellvertretender Leiter der Johann-August-Zeune-Schule für Blinde, die an diesem Samstag ihr 125-jähriges Bestehen feiert. Insgesamt etwa 200 Kinder und Jugendliche, darunter 40 sehgeschädigte, werden in der Schule von etwa 60 Lehrern und 40 weiteren Mitarbeitern – Sozial- und Heilpädagogen, Erzieher, Zivis und Praktikanten – betreut.

„Bei uns ist kein Kind wie ein anderes“, sagt Kohlstedt. Es gibt Kinder, die „nur“ blind sind und die Abitur an „normalen“ Gymnasien machen. „Aber dennoch werden sie und deren Lehrer von uns ambulant mitbetreut.“ Die meisten Schüler seien jedoch hochgradig körperlich und geistig behindert. Deshalb gebe es neben dem Grund-, Haupt- und Realschulbereich, der Berufsschule und der Berufsfachschule auch Klassen für Lern- und Geistigbehinderte. „Wir haben beispielsweise ein blindes, geistig behindertes Mädchen, das mittlerweile an einem speziellen Computer schreiben kann. Andere lernen bei uns, Brei mit dem Löffel zu essen – wir gehen auf die ganz unterschiedlichen Lern- und Förderbedürfnisse ein“, so Kohlstedt. Auch ältere Menschen können hier noch die Blindenschrift erlernen.

„Eigentlich ist unsere Schule noch viel älter als 125 Jahre“, sagt der Vizerektor. Bereits 1806 wurde sie als erste deutsche Blindenschule in Berlin-Mitte gegründet. Der erste Lehrer, Johann August Zeune, hatte zu Beginn nur einen einzigen Schüler. 1877 zog die Schule in die Rothenburgstraße nach Steglitz. „Und jetzt platzen wir aus allen Nähten, so viele Schüler haben wir.“

CHRISTINE SCHMITT