Normalbürger Friedman in Lichtenberg

Michel Friedman, Talkmaster, Reizfigur und stellvertretender Vorsitzender des Zentralrats der Juden, beglückwünschte gestern 148 neue Berliner Polizisten. Und wartete auf ein Wort von Guido Westerwelle

Der Diplomstudiengang 99a des Fachbereichs 3 der Fachhochschule für Verwaltung und Rechtspflege hat zur Diplomierungsfeier geladen, und alle sind gekommen: das ZDF, die taz, AP, diverse Rundfunkanstalten und ein privates Fernsehteam, das Bilder für N24, Pro 7 und Sat.1 fabriziert. Michel Friedman soll anlässlich der Diplomvergabe referieren – über „Die Rolle der Polizei in einer demokratischen Gesellschaft“. „Lange vorher“, sagt Dr. Brigitte Thiem-Schräder, die die Veranstaltung organisiert hat, habe sie Friedman eingeladen, „lange bevor“ Jürgen Möllemann ihn zum Mitverantwortlichen für Antisemitismus in Deutschland machte. An diesem Freitag wird der Bundesvorstand der FDP entscheiden, wie die Partei umgehen will mit der Causa Möllemann/Friedman.

Also sitzen die vielen Journalisten unter den noch zahlreicheren jungen Menschen in grünen Uniformjacken (Schutzpolizei) und Sonntagsanzügen (Kriminalpolizei) und warten. Der Dekan begrüßt die Diplomanden, die Lokalprominenz und „unseren Ehrengast, der sich allerdings noch in der Anfahrt befindet“. Dann reden Innensenator Ehrhart Körting und der neue Polizeipräsident Dieter Glietsch. Beide erwähnen in der Polizeihochschule mit keinem Wort, dass in Berlin gerade gegen sechs Polizisten wegen Körperverletzung im Amt ermittelt wird und einer der Angeklagten angibt, so etwas lerne man auf Polizeilehrgängen. Glietsch mahnt immerhin, „Kollegialität nicht mit Kameraderie zu verwechseln“.

Und Friedman? Fehlt. Der Vertreter der Absolventen muss seine Rede vorziehen und der Dekan sein Schlusswort. Friedman fehlt immer noch. Der Dekan lässt „schon mal“ die Zeugnisse verteilen. Die hinten im Saal sitzenden Angehörigen sind sauer, dass der Stargast des großen Tages ihrer Kinder nicht auftauchen will. „Frechheit“, sagt einer und ein anderer: „Der sitzt wohl noch beim Kerner.“ Dann kommt er doch, drängt sich durch einen Wall von Journalisten („Ich sage nichts, bevor Westerwelle sich geäußert hat“) und steigt zum Rednerpult. Die Diplomvergabe wird unterbrochen und Friedman beginnt. Ohne Entschuldigung, sogar ohne Begrüßung. „Wir stehen vor der größten Herausforderung seit 1945 …“, sagt er, spricht über Terrorismus und organisierte Kriminalität, über die mangelhafte Bezahlung von Pflegeberufen und Polizeidienst: „Ich muss nicht gewählt werden, ich bin ein ganz normaler Bürger.“ Ein normaler Bürger, der anschließend mit Referent und Personenschutz davonrauscht. Später wird der FDP-Vorstand Möllemann kritisieren, und Friedman wird sich wohl äußern – aber das sehen die Diplomanden erst in der Tagesschau.

ROBIN ALEXANDER