Die Zukunft ist beschädigt

Titelverteidiger Frankreich verliert das Eröffnungsspiel der Fußballweltmeisterschaft sensationell mit 0:1 gegen den Senegal und hofft bis zum Match gegen Uruguay auf die Genesung von Zidane

aus Seoul MARTIN HÄGELE

Es war für die Technische Kommission der Fifa, deren Aufgabe es ist, den besten Akteur jeder Partie zu bestimmen, nach der Auftaktpartie des 16. WM-Turniers nicht schwer, das erste Diplom auszustellen. Noch bevor das Feuerwerk über der größten Arena Asiens in den Himmel krachte, hatten sie längst den ersten Star des Tages bestimmt; mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit wird El Hadji Diouf, der beste Spieler Afrikas, nicht nur für einen Abend als Sternschnuppe glühen. Sein Solo in der 29. Minute legte den Grundstein für die Sensation, den 1:0-Sieg der Turnierdebütanten aus Senegal über die Weltmeister aus Frankreich.

Einer Weltmeisterschaft kann nichts Besseres passieren, als wenn schon bei der Ouvertüre die vermeintlichen Kräfte des Markts durcheinander geraten und der haushohe Favorit über den Außenseiter stolpert. Ebenso wichtig aber ist die Entdeckung neuer Figuren, die dem Spiel eine andere Richtung geben. Und ganz so überraschend haben Senegals Legionäre die stolze Welt der Grand Nation auch nicht aus den Angeln gehoben, schließlich kannte man ja all die robusten Athleten und deren gehobenen Umgang mit dem Ball aus der Premiere Division. Und dass dieser El Hadji Diouf vom RC Lens im französischen Ligabetrieb den Hauptdarsteller, ja den König aus der Provinz spielt, hatten die vorwiegend an den besten Adressen Europas beschäftigten Champions auch schon aus der Heimat gehört – oder vorm Fernseher mitbekommen.

Denn die einzige Strategie der Senegalesen aus Frankreich bestand darin, den bulligen Torjäger mit den gebleichten Haaren in Schussposition oder irgendwie auf den Weg zum Kasten von Keeper Barthez zu bringen. Und die einzige Angst der ruhmreichen Equipe schien es zu sein, den respektlosen Gesellen mit dem Furcht erregenden Kosenamen „Serial Killer“ (Serienmörder) irgendwie von ihrem Strafraum fernzuhalten. Aber dieser Diouf wagte sich immer wieder in den Grenzbereich. Er suchte von Anfang an das Risiko, und es störte ihn auch nicht, dass er im ersten Spielabschnitt bei jedem zweiten Angriff in die Abseitsfalle rannte, immer wieder tauchte der goldblonde Kopf hinter der Abwehrreihe der Blauen auf. Von den zwölf Fouls, welche die Weltmeister im gleichen Zeitraum begingen, trafen allein sieben Senegals Nummer elf. Auch ein Zeichen, dass keiner der französischen Routiniers in der Lage war, diesen Diouf nur annähernd zu kontrollieren. Bereits nach einer halben Stunde mussten die Welt- und Europameister einem Rückstand nachrennen, nachdem Papa Bouba Diop die von Diouf gestiftete Verwirrung der Abwehr ausgenutzt und die Lederkugel auf dem Hosenboden sitzend ins Tor gestoßen hatte.

Plötzlich steckt der Titelverteidiger im Dilemma. „Unsere Zukunft ist sehr beschädigt“, so Trainer Lemerre, „aus unserer Gruppe ist jetzt eine sehr harte Gruppe geworden.“ So wie Englands Boulevardmedien für die Gesundung von David Beckhams Mittelfußknochen beteten, richten sich nun die Hoffnungen zwischen Bretagne und Elsass darauf, dass Zinedine Zidanes Oberschenkelmuskel rechtzeitig zu den Begegnungen mit Uruguay und Dänemark heilen möge. Der Patient selbst musste den Kameraden Mut machen: „Noch ist nichts verloren“, meinte Zidane mit leiser Stimme.

Die Geistesblitze und Energieleistungen des weltbesten Fußballspielers fehlten seiner Mannschaft. „Zizous“ Ersatzmann Youri Djorkaeff brachte die „Equipe Tricolore“ nie richtig auf Tempo, für den alten Meister waren alle Senegalesen einen Schritt zu schnell, ein paar Jahre zu jung und viel zu respektlos. Zudem hatten die französischen Angreifer, ob sie nun Henry, Trezeguet oder Wiltord heißen, nicht ihren besten, geschweige denn glücklichsten Tag erwischt. Einem Erfolg der Torzwillinge standen Pfosten und Latte im Weg; selbst als sich Team Frankreich zwischen der 54. und 57. Minute fünf Möglichkeiten erarbeitete, war kein einziger in der Lage, vernünftig abzuschließen – und so „den größten Moment unseres Lebens“ (der französische Trainer Bruno Metsu über seine Senegalesen) noch zu verhindern.

Womöglich ist Afrikas Fußball doch viel besser, als im Vorfeld des Turniers von Europäern und Südamerikanern behauptet wurde. Denn die technisch und taktisch hervorragend ausgebildeten Exponenten aus Frankreichs erster Division besitzen auch jene Disziplin, die Kritiker den Afrikanern oft abgesprochen und als Grund für deren international bislang äußerst mäßiges WM-Abschneiden gehalten haben. Einer der besten Fußballer Afrikas, Abedi Pele, sagte gestern über Diouf „Der hat ein gutes Auge, eine hervorragende Nase und einen ganz großen Willen – und alle anderen spielen für ihn.“ Ein hoffnungsvolles Zeugnis für einen jungen Weltstar.

Frankreich: Barthez - Thuram, Leboeuf, Desailly, Lizarazu - Vieira, Petit - Wiltord (81. Djibril Cissé), Djorkaeff (60. Dugarry), Henry - Trezeguet Senegal: Sylva - Coly, Diatta, Malick Diop, Daf - Aliou Cissé - Moussa N’Diaye, Bouba Diop, Diao, Fadiga - Diouf Zuschauer: 63.000; Tor: 0:1 Bouba Diop (30.)