MEHR ALS DIE HÄLFTE DER ALGERIER HABEN DIE WAHLEN BOYKOTTIERT
: Ein tief gespaltenes Land

Algeriens Präsident Abdelasis Bouteflika kann sich freuen: Die ehemalige Einheitspartei FLN, der auch er seine politische Karriere zu verdanken hat, hat die Parlamentswahlen am vergangenen Donnerstag mit absoluter Mehrheit gewonnen. Regierungschef Ali Benflis sitzt damit künftig noch fester im Sattel als bisher. Er braucht keine Koalitionspartner. Grund zum Feiern – hätten die Wahl nicht einen Schönheitsfehler: Die bisher im Parlament vertretenen nichtreligiösen Oppositionsparteien boykottierten den Urnengang aus Protest gegen die sich zuspitzende soziale Situation und vor allem wegen der Repression in der Berberregion Kabylei. Dort fanden die Wahlen faktisch nicht statt. Ein Generalstreik legte die Region lahm. Dies hatte Bouteflika mit einkalkuliert. Doch es kam schlimmer: Auch im restlichen Land blieben viele zu Hause: Die Wahlbeteiligung lag bei 46 Prozent.

Algerien ist gespalten. Auf der einen Seite stehen diejenigen, die sich mit den herrschenden Verhältnissen arrangieren wollen und können, sowie die Anhänger der legalen islamistischen Parteien. Auf der anderen Seite stehen breite Teile vor allem der städtischen Bevölkerung. Sie sind die Opfer der sich ständig verschärfenden sozialen Krise. Über 1.500 Staatsbetriebe wurden in den letzten Jahren geschlossen. Mehr als eine Million Arbeitsplätze gingen verloren. Während die Söhne der Reichen aus der Nomenklatura ihren Wohlstand zur Schau stellen, fehlt es ihren Altersgenossen in den ärmeren Stadtteilen an allem. Sie haben keine Arbeit, keine Wohnung – kurz: keinerlei Zukunftsperspektive. Präsident Bouteflika, der vor drei Jahren angetreten war, um das Land auszusöhnen, hat Algerien stattdessen erneut gespalten.

Mit diesen Wahlen haben die politischen Institutionen auch noch ihr letztes bisschen Legitimität verloren. Und die Opposition ist bisher nicht in der Lage, die Proteste zu bündeln. Dies war sicher mit ein Grund, nicht anzutreten. Denn eine Boykottkampagne ist leichter als eine Politik, die in die Zukunft weist. Die so entstandene politische Leere ist gefährlich. Sie könnte das nordafrikanische Land einmal mehr ins Chaos reißen. REINER WANDLER