Algerien kehrt zu den Alten zurück

Bei den Parlamentswahlen vervierfacht die frühere Staatspartei FLN fast ihren Stimmenanteil und gewinnt absolute Mehrheit. Wahrer Sieger aber ist der Boykott, getragen von den Protestbewegungen der Berber in der Kabylei. Auch Trotzkisten legen zu

von REINER WANDLER

Algeriens ehemalige Staatspartei FLN (Nationale Befreiungsfront) hat erwartungsgemäß die Parlamentswahlen vom Donnerstag gewonnen. Dies gab gestern Innenminister Yazid Zerhouni bekannt. Dennoch gab es bei den zweiten Wahlen nach dem Abbruch der Parlamentswahlen 1992 durch die Armee eine Überraschung: Die FLN, der auch Staatspräsident Abdelasis Bouteflika angehört, errang 199 der 389 Sitze – 135 mehr als vorher und die absolute Mehrheit. Ihr Stimmenanteil wuchs von 14,2 auf knapp über 51 Prozent.

Damit kann Regierungschef Ali Benflis künftig ohne Koalitionspartner regieren. Die bisher stärkste Partei, die 1996 von Bouteflikas Vorgänger Liamine Zeroual als neue Staatspartei gegründete „National-Demokratische Versammlung“ (RND), wurde auf Platz zwei verwiesen. Geführt vom bisherigen Justizminister Ahmed Ouyahia, verlor sie 112 Parlamentssitze und zieht künftig mit 43 Abgeordneten in die Volksvertretung ein.

Auf Platz drei liegt die „Bewegung für die Nationale Reform“ (MRN) von Abdallah Djebbalah. Die islamistische Formation stellte vielerorts ehemalige Funktionsträger der seit 1992 verbotenen „Islamischen Heilsfront“ (FIS) auf. Mit dieser Strategie gelang es Djebballah, aus seiner MRN die stärkste Kraft im religiösen Lager zu machen. Die andere islamistische Partei, MSP-Hamas von Scheich Mahfoud Nahnah, verlor knapp die Hälfte ihrer Sitze und erhält nunmehr 38 Mandate. Die Wähler aus dem islamistischen Lager straften Nahnah damit für seine Regierungsbeteiligung in den letzten drei Jahren ab.

Große Gewinner bei den Kleinen ist die Arbeiterpartei (PT) von Louisa Hanoune. Die streitbare Trotzkistin kann künftig mit 21 statt bisher 4 Abgeordneten im Parlament Politik machen. Hanoune profitierte vom Boykott der beiden etablierten nichtreligiösen Oppositionsparteien: der „Versammlung für Demokratie und Kultur“ (RCD) sowie der „Front der Sozialistischen Kräfte“ (FFS).

Nicht alle Wähler dieser Parteien blieben zu Hause. Einige schenkten ihre Stimme der PT. Dennoch gilt der Erfolg des Waltags den Boykotteuren. Nur 46,09 Prozent der Wähler gingen zu den Urnen – 1997 waren es noch 65,5 Prozent gewesen. Vor allem in den großen Städten und in der Berberregion Kabylei überwog der Boykott deutlich. In der Hauptstadt Algier zog es nur jeden Dritten ins Wahllokal, in den beiden großen Städten der Kabylei, Tizi Ouzou und Bejaia, ganze 1,84 beziehungsweise 2,62 Prozent.

Nicht einmal jedes fünfte Wahllokal der Berberregion konnte überhaupt öffnen; die anderen wurden entweder besetzt oder fielen Überfällen wütender Jugendlicher zum Opfer. Unter der Parole „Ulac l’vote ulac!“ (Keine Wahlen!) hatte das „Komitee der Stämme und Gemeinden der Kabylei“ (Aarch) zum Boykott und zu einem dreitägigen Generalstreik gerufen. Die meisten Landstraßen waren mit Barrikaden blockiert.