„Es muss schon einen Kontext haben“

Deidre Berger, Leiterin des Berliner Büros des „American Jewish Committee“ (AJC), erläutert, wie sie sich korrekte Berichterstattung über Israel und den Nahostkonflikt vorstellt: „Man muss nicht alles zitieren“

taz: Frau Berger, wenn eine Journalistin in Israel eine Demonstration von Palästinensern beobachtet, in der gerufen wird: „Scharon ist wie Hitler“, darf die Journalistin angesichts der Gefahr der Festigung antisemitischer Klischees darüber überhaupt berichten? Oder muss sie sofort den Satz kommentieren und betonen, dass sie ihn nicht gut findet?

Deidre Berger: Sie kann berichten, aber sie soll gleich darauf eingehen, wie verbreitet Holocaust-Revisionismus in den arabischen Ländern ist. Es muss schon einen Kontext haben.

Das ist nicht die klassische Trennung von Nachricht und Meinung, wie sie vor allem in der amerikanischen Presse stets hochgehalten wird.

Das ist keine Meinung, dass Holocaust-Leugnung verbreitet ist in den arabischen Ländern. Das ist kein Kommentar, sondern einfach eine Feststellung.

Daran müssen sich auch Nachrichtenjournalisten halten, die kaum Platz für solche Informationen haben?

Ich finde schon, dass Journalisten nicht nur berichten dürfen, was passiert, sondern auch, in welchem Kontext das passiert. Denn sonst kann der Leser nicht viel damit anfangen.

Verstärken israelische Kritiker Scharons, die ihn „Bulldozer“ nennen, den Antisemitismus? Das ist sein Spitzname dort.

Aber das ist hier nicht bekannt. Wenn man etwas schreibt, was dem Leser nicht bekannt ist, hilft es nicht, dass es in einem anderen Land vielleicht ein bekannter Spitzname ist. Wenn Kohl früher hier „Birne“ genannt wurde, hat das eine Bedeutung im deutschen Rahmen. Ich habe das allerdings früher als amerikanische Journalistin nicht so berichtet.

Um eine „negative diskursive Wirkung“ zu vermeiden: Soll man als Journalistin nicht einen Palästinenser zitieren, der sagt, es habe ein „brutales Massaker am palästinensischen Volk“ gegeben?

Die Israelis haben kein „brutales Massaker“ verübt. Das ist Tatsache.

Es ist aber ein Zitat.

Ein Journalist wählt natürlich seine Informationen aus. Und wenn man inkorrekte Information reinbringt, ist das nicht mehr seriöser Journalismus. Man muss nicht alles zitieren. Das ist auch keine Pflicht. Aber er muss auch schreiben: „Die Tatsachen sind so und so.“

Soll man israelische Kritiker Scharons nicht mehr interviewen, um dem Vorwurf zu entgehen, man schiebe sie nur vor, die Kritik zu üben, die man selbst nicht üben wolle?

Es gibt israelische, deutsche, amerikanische Kritiker von Scharon. Es gibt aber auch viele Unterstützer. Und die Mehrheit der Israelis, egal wie man dazu steht, steht hinter Scharon. Es ist kein Problem, Kritiker zu zitieren, wenn gleichzeitig auch die anderen Unterstützer Scharons aus der Mitte zitiert werden. Aber das fehlt sehr oft.

Was ist antisemitisch daran, wenn man schreibt, dass Scharon einen Schmerbauch hat?

Das hat etwas Schmieriges – und das ist nicht das geeignete Wort für den Premier einer Demokratie. INTERVIEW: PHILIPP GESSLER