Hautnah und weit weg

Judith Wilskes Inszenierung „DU/Die Stadt“ schafft ein neues Zuschauer-Schauspieler-Verhältnis

„Luxus!“ Ist des Zuschauers/Mitspielers erster Gedanke. Der zweite: Akkordarbeit. 17 Schauspieler spielen für jeden Einzelnen zwei Stunden lang Theater. Alle zehn Minuten reichen sie den Zuschauer an den nächsten Kollegen weiter. DU/Die Stadt heißt das Stück von Fiona Templeton, vom dem hier die Rede ist. Für Kampnagel inszeniert hat die logistische Meisterleistung die junge Regisseurin Judith Wilske. Die Regieanweisungen sehen einen Parcours durch die Stadt vor. Von der Innen- geht es in die Speicherstadt, von dort im Taxi zur Elbe, zu Fuß ins Hotel, vom Hotel auf die Straße, ins Café.

Den anderen Titelteil – DU – bekommt man an diesem Exklusiv-Nachmittag aber auch zu hören. „Du musst du sein.“, hört man da. „Jetzt solltest du mir Du sagen.“ Das Stück erzählt keine Geschichten, sondern textet einen poetisch mit klangvollen Phrasen zu, anstatt Antworten zu bieten: „Es gibt viele Wege, dich zu finden.“ Vielen Dank.

Die Schauspieler, die den Kanidaten begleiten, nehmen Rollen ein wie „Leitende Angestellte“, „Konsumierter Konsument“ oder „Spiegel des Vergessens“. Wer geht hier mit wem: Genau darum geht es: um das Verhältnis von Zuschauer und Schauspieler im Theater. Ganz nah kommen sie. Sprechen, riechen, flüstern, spucken, tanzen, spielen. Exklusiv. Fassen einen beim Arm. Freund. Automatisch spielt man die suggerierte Rolle. Man spielt den Studenten, den Freund, den Zuhörer. Weiter reicht das Repertoire des mitspielenden Zuschauers nicht.

Richtig interessant wird dieses Zusammenspiel aber nur, wenn die Zuschauer mitspielen, spontan antworten. Denn schnell stellt man dann fest: Die gehen gar nicht auf mich ein! Wechseln chamäleonhaft ihre Rederichtung, kumpeln, sticheln, philosophieren. Sie nicken und spiegeln des Zuschauers Körpergestik, sind theatralisch, abweisend oder herausfordernd.

Zwar können die Schauspieler autonom mit ihrem Textmaterial umgehen, doch für Menschen, die nicht wie aus der Pistole geschossen eitle Lebensweisheiten von sich geben, liegt hier eine Schwäche dieses sorgfältig und aufwendig produzierten Events: Text, Fragen und Sprecher kommen und wechseln so rasant, dass man nicht in Ruhe denken und antworten kann. Auch nachher nicht. Schade.

Christian T. Schön

3. sowie 4.-8. Juni, Start im 10-Minutentakt von 11-15 Uhr. Startpunkt und Karten nur im Vorverkauf unter 27094949.