Körper scheibchenweise abgescannt

Der Astronaut ist sein eigener Schöpfer, der schließlich den Power-Knopf findet: Tom Wiehles Inszenierung von „Major Tom“ auf Kampnagel entpuppt sich als gekonnte Auflösung der Grenzen zwischen Genres, Realität und Virtualität

Der Körper ist austauschbar, Zeit und Raum scheinen grenzenlos, und doch fühlt Tom sich gefangen wie nie zuvor. „Alles ist Information“, raunt ihm das sprechende Auge zu. Bei dem Gedanken, dass materielle Schranken nun gänzlich aufgehoben seien, sucht Tom verzweifelt Halt auf der abschüssigen Rampe in seiner Bühnenbox.

Tom, vielmehr Major Tom – so auch der Name des jetzt auf Kampnagel uraufgeführten Stücks – , ist kein geringerer als der legendäre Astronaut, den Pop-Chamäleon David Bowie vor mehr als zwanzig Jahren in seinem Song Space Oddity in die Unendlichkeit des Universums hat entfleuchen lassen. Der Hamburger Regisseur Christian Wiehle holt ihn zurück auf Bühne und Leinwand, macht ihn zum Protagonisten seines Stücks Major Tom, schickt ihn auf eine philosophische Erkundungstour um die Frage nach der menschlichen Existenz. Im Widerspruch von Geist und Materie ringt Major Tom alias Olympia Orpheus um Selbsterkenntnis. Aus dem Astronautenanzug hat sich eine Frau gepellt. Bekleidet mit einem hautfarbenem Brust- und Lendenschurz aus Latex, steht sie fast nackt und hilflos da.

Die Tänzerin Wobine Bosch spielt dieses Zwitterwesen mit fast minimaler Gestik, flankiert von zwei Videowänden, deren flimmernde Pixelflut ihrer phänomenalen Präsenz nichts anhaben kann. Die Stimme leiht ihr die Schauspielerin Ulrike Bartusch.

Christian Mevs hat einen suggestiven Soundteppich daruntergelegt, aus dem sich immer wieder wilde Klangbilder aufbäumen. Sämtliche Aggregatzustände durchläuft derweil der Körper auf der Leinwand, wird scheibchenweise durchgescannt. Streng durchkomponiert sind Bewegung, Stimmen, Gesang und Rhythmus der Bilder.

„Science Fiction Performance“ nennt Wiehle dieses multimediale Spektakel. Und in der Auflösung von Raum, Zeit und Körper surfen er und seine Crew geschickt an den Grenzen der verschiedenen Genres entlang. Das gekonnte Spiel mit der Technik fasziniert.

Doch bemerkenswert ist vor allem, dass es Wiehle gelingt, daneben auch anzurühren. Wenn Olympia Orpheus alias Major Tom und Major Tom alias Olympia Orpheus sich, und somit sich selbst, begegnen, und sich dann Frau und Astronaut an der Hand nehmen, ist das traurig und komisch zugleich. Major Tom ist wie ein Rausch, akustisch manchmal am Rande der Schmerzgrenze und in den Dialogen mitunter recht pathetisch. Doch Wiehles Konzept, die Durchdringung von Mensch und Technik im Spiel mit den Medien zu zeigen, geht auf. Und am Schluss erkennt Tom, dass er sein eigener Schöpfer und eben nur eine Maschine ist. Mit dem Wissen will er nicht leben und entfernt das (Glas-)Auge der Einsicht, das er sich in das schwarze Loch seiner leeren Augenhöhle eingesetzt hat. Dahinter, entdeckt er, sitzt der Powerknopf.

Marga Wolff

Nächste Vorstellungen: 5.-8. Juni, 20 Uhr, Kampnagel (k6)