Radlerstau auf der Autobahn

Super Wetter, keine Autos: Rund 100.000 Menschen nehmen an der Fahrradsternfahrt teil. So voll war es noch nie. Fahrradclub fordert bessere Bedingungen für das umweltfreundliche Verkehrsmittel

von RICHARD ROTHER

Pünktlich um zwölf Uhr geht es los. Ein Polizeibeamter reißt das weißrote Flatterband durch, das über die Neuköllner Autobahnauffahrt gespannt ist, und tausende Radfahrer stürmen klingelnd, johlend, pfeifend den Autobahntunnel: Freie Fahrt für frohe Radler. Am Sonntag dürfen sie sogar auf die Autobahn. Dass es Spaß macht, ohne Smog, rote Ampeln und die rechte Spur versperrende Autos Rad zu fahren, sieht man vielen lachenden Gesichtern auf der großen Sternfahrt an. Den Radlern gehören die Straße, die Sonne, der Wind.

Es sind nicht die ökobewussten Baumwolltaschen-an-das-Lenkrad-Hänger, nicht die Fahrradkuriertaschen-über-dem-Rücken-Sprinter, die das Bild der größten Fahraddemonstration der Republik prägen – es sind vor allem ganz normale Berliner, die an diesem Sonntag in die Pedale treten: der Neuköllner Zimmermann wie die Wilmersdorfer Waldorflehrerin, der türkische Teenager wie der deutsche Pensionär. Rund 100.000 Menschen werden es wohl insgesamt, die auf 13 Routen vom Stadtrand zum Großen Stern radeln.

Von den politischen Forderungen des Allgemeinen Deutschen Fahrradclubs (ADFC), der die Veranstaltung organisiert, ist auf der Demo wenig zu spüren. Rufe wie „Hopp, hopp, hopp – Autostopp“ sind die Ausnahme, es gibt keine Fahnen oder Durchsagen, kaum Luftballons oder Sprechchöre – das Fahrradfahren an sich ist Demonstration genug. Die Demo unterscheidet sich damit kaum von den Skater-Demos – ist das Wetter schön, macht es einfach Spaß, gemeinsam die Straßen zu erobern.

„So voll wie in diesem Jahr war es noch nie“, zog ADFC-Sprecher Benno Koch eine positive Bilanz. Der Erfolg zeige, dass Menschen Fahrrad führen, dafür aber bessere Bedingungen forderten. Die Bundesregierung müsse Unfallursachen wie tote Winkel bei Lastwagen oder Radwege auf Bürgersteigen abschaffen.

Bundesumweltminister Jürgen Trittin (Grüne) unterstützte die Sternfahrt. „Wir brauchen unter anderem weitere Radtrassen und die Möglichkeit, Busspuren mitzubenutzen.“ Dass es in Berlin Nachholbedarf gibt, zeigt ein Blick in die Statistik. Während bundesweit 12 Prozent der Bevölkerung regelmäßig ihr Rad nutzen, sind es in Berlin nur 10 Prozent. In Münster treten 40 Prozent in die Pedale.

Obwohl der ADFC den Sonntag zu einem autofreien Tag ausgerufen hatte, kommt es in der Innenstadt zu vielen Staus, weil die Autos weiträumig umgeleitet wurden. Auch auf der Stadtautobahn staut sich der Verkehr: Weil es so viele Radler sind, die einmal über die Betonpiste rollen wollen, kommt es zu dichtem Gedränge und längeren Wartezeiten. Dennoch verläuft der Fahrradsonntag weitgehend ruhig; bereits am frühen Nachmittag trudeln all die Damen- und Herrenräder, Mountain- und Rennbikes am Großen Stern ein. Und am Rande macht manch Radler nach der langen Tour das, was Umweltschützer gern den Ravern auf der Love Parade vorwerfen: in den Tiergarten urinieren.