Rhetorik gegen Atomkriegsangst

Angesichts der Ausreise von Ausländern reden Indien und Pakistan das Risiko eines Einsatzes von Atomwaffen im Kaschmir- Konflikt herunter. Indiens Premier schließt direkte Gespräche mit seinem pakistanischen Amtskollegen bei Asiengipfel aus

NEU-DELHI/ISLAMABAD ap/rtr/dpa/afp ■ Indien und Pakistan haben angesichts der Ausreise westlicher Diplomaten und Experten die Angst vor einem Atomkrieg um Kaschmir zu dämpfen versucht. Sein Land werde sich nicht „impulsiv“ verhalten, jedoch den Druck auf Pakistan aufrechterhalten, um ein härteres Vorgehen gegen den Terrorismus zu erzwingen, sagte Indiens Verteidigungsminister George Fernandes gestern in Singapur. Pakistans Militärmachthaber Pervez Muscharraf nannte die Angst vor einem Atomkrieg unnötig. „Ich glaube nicht, das eine der beiden Seiten so unverantwortlich ist, so weit zu gehen. Kein gesunder Mensch kann überhaupt daran denken, egal wie hoch der Druck sein mag“, sagte er dem US-Fernsehsenders CNN. Zudem dementierte Muscharraf Berichte, wonach seine Regierung Atomwaffen an die Grenze zu Indien verlagert habe. Diese Informationen entbehrten jeder Grundlage.

Ungeachtet internationaler Appelle zum Dialog hat Indien Gespräche mit Pakistan am Rande des Asiengipfels in Kasachstan ausgeschlossen. Der indische Premier Atal Behari Vajpayee betonte gestern, er werde in Almaty nicht mit dem pakistanischen Präsidenten Pervez Muscharraf über die Kaschmirkrise sprechen. Er fügte hinzu, er werde Gespräche ernsthaft in Erwägung ziehen, wenn es Beweise gebe, dass Muscharraf seinem Versprechen nachkomme, das Einsickern muslimischer Extremisten in den indischen Teil Kaschmirs zu verhindern. Muscharraf hatte Vajpayee ein Gespräch am Rande des Sicherheitsgipfels angeboten.

Der russische Präsident Wladimir Putin sollte Vajpayee und Muscharraf am Dienstag zu getrennten Gesprächen treffen; er wurde am Montagabend in Almaty erwartet. Auch der chinesische Staatschef Jiang Zemin wollte einzeln mit den beiden Politikern reden. Die Organisation der Islamischen Konferenz (OCI) kündigte an, sie stehe für weitere Vermittlungen zwischen Indien und Pakistan „uneingeschränkt zur Verfügung“.

Unterdessen verließen die ersten Familien von UN-Mitarbeitern nach einer offziellen Anordnung der UNO Pakistan. Insgesamt würden in den kommenden Tagen 300 Menschen abreisen, teilte UN-Sprecher Eric Falt in Islamabad mit. Auch zahlreiche ausländische Regierungen hatten ihre Botschaftsmitarbeiter und deren Angehörige aufgerufen, Indien und Pakistan wegen der Gefahr eines Krieges zu verlassen. Ausgenommen sind „unabkömmliche“ Diplomaten.

Indiens Botschafter in den USA und der indische Industrieverband CII kritisierten die Aufforderung zur Ausreise an die Ausländer als „ungerechtfertigte Panikmache“ und „Überreaktion“. Der britische Außenminister Jack Straw wies dies zurück, sagte aber, Hinweise auf einen unmittelbar bevorstehenden Krieg gebe es nicht. „Die Situation ist gefährlich, aber ein Krieg ist nicht unvermeidbar“, sagte er.

Muscharraf schickte mehrere Sondergesandte auf diplomatische Missionen ins Ausland. Expräsident Farooq Ahmed Leghari brach gestern nach Deutschland und Ägypten auf, wie Regierungsbeamte in Islamabad mitteilten. Weitere Politiker sollten in europäischen, arabischen und asiatischen Ländern für die pakistanische Position werben. Muscharraf hatte die Mission in der vergangenen Woche angekündigt.

Unterdessen gingen die Gefechte an der Waffenstillstandslinie in Kaschmir am Wochenende weiter. Dabei wurde nach indischen Polizeiangaben eine Frau getötet. Acht Menschen seien bei einem Angriff mit Werfergranaten von pakistanischen Soldaten verletzt worden. Nach Information aus Rebellenkreisen im pakistanischen Teil Kaschmirs ist das Einsickern von Rebellen in den indischen Teil nahezu gestoppt. Die Anweisung, keine Extremisten mehr über die Waffenstillstandlinie nach Jammu und Kaschmir einzuschleusen, sei vergangene Woche von der Regierung in Pakistan gekommen, hieß es.