Schröders liebster Gegner: „Die da“

Mit einer Seelenmassage vor begeisterten Genossen vollzieht der SPD-Chef eine Wende: Die Führung glaubt nicht mehr, aus eigener Kraft den Wahlsieg zu schaffen – jetzt soll die Basis ran. Zur Motivation warnt der Kanzler vor Stoibers schwarzer Wende

aus Berlin LUKAS WALLRAFF

Am Schluss war auch sein Kopf knallrot. Vielleicht aus Rührung, vielleicht einfach aus Erschöpfung. Auf jeden Fall passte es ins Bild, das Gerhard Schröder gestern abgab: ein durch und durch sozialdemokratisches. Über eine Stunde hatte er geredet, der Bundeskanzler und der SPD-Chef, über eine Stunde hatte er die Seele der Partei gestreichelt. Dafür durfte er fast zehn Minuten im Beifall der Genossen baden. Die Ovationen waren natürlich vorgesehen, das gehört zu einem Wahlparteitag, aber das begeisterte Getrampel auf den Tribünen, die „Jetzt geht’s los“- und „Gerhard, Gerhard“-Rufe kamen echt und ehrlich rüber. Kein Wunder: Die Delegierten hatten genau das zu hören bekommen, was sie hören wollten.

„Lasst euch nicht Bange machen!“, rief Schröder – und meinte die schlechten Umfragen. „Wir müssen uns nicht verstecken!“, schrie er – und meinte seine Regierungsbilanz. Und schließlich: „Wir werden gewinnen!“

Aber es war nicht die Hoffnung auf ein Wunder, nicht das Herbeireden des „Aufschwungs“ und der „Trendwende“, es war vor allem der Appell ans sozialdemokratische Herz, der ankam. „Ihr werdet alle gebraucht, Tag für Tag, jeder an seinem Platz!“

„Echt klasse“, jubelte da der 26-jährige Rafael Binkowski, der in Böblingen für den Bundestag kandidiert. „Jetzt wissen wir wieder, warum wir Politik machen.“ Vor allem eines hat er von der Rede mitgenommen: „Der soziale Zusammenhalt, der uns von den anderen Parteien unterscheidet.“ Der Gegenkandidat von der Union, Edmund Stoiber, versuche diese Unterschiede zu verwischen, sagt Binkowski, aber Schröder habe „deutlich gezeigt, was die Alternativen sind“.

Das hatte der Kanzler in der Tat – und dabei trug er dicke auf. „Die wollen zurück in einen reaktionären Ständestaat“, warf er Union und FDP vor. „Das müssen wir den Menschen in Deutschland sagen: Die sind nicht modern, die sind vordemokratisch.“

Wenn der Stoiber sich öffentlich zurückhält, wenn er sich partout nicht in die rechte Ecke stellen lässt, dann erklärt eben der SPD-Parteichef, was die Union im Schilde führt. Nun gut, der Kandidat, der gebe sich so harmlos, aber sein Programm, das sei gefährlich. Als Beispiel führte Schröder die Senkung der Staatsquote an, die CDU/CSU von 48 auf 40 Prozent runterfahren wollen. „Was die damit meinen“, ist für Schröder klar: weniger Geld für Schulen, weniger Geld für Kindergärten, weniger Geld für innere Sicherheit. Kurzum: „Was die da aufgeschrieben haben, bedeutet die totale Entstaatlichung der Politik.“ Und das sei mit der SPD nicht zu machen – „aus Fürsorge für die Menschen“.

Damit nahm er seinem immer noch präsenten Gegenspieler Oskar Lafontaine den Wind aus den Segeln, der in seinem gerade erschienenen Buch „Die Wut wächst“ über die Versäumnisse der Schröder-Regierung hergezogen hatte. „Der Mut wächst!“, entgegnete Schröder zum Abschluss – und den Menschen in der Halle reichte diese Botschaft. Der Delegierte Dirk Peddinghaus aus Schleswig-Holstein freute sich über die „soziale Komponente“, über die „Hinweise auf sozialdemokratische Werte“. Die Frage ist nur, ob diese Botschaft auch außerhalb der SPD zum Wahlsieg ausreicht. Denn was Schröder präsentierte, waren keine neuen Konzepte für die nächsten vier Jahre, keine Vision für seine eigene Politik, sondern vor allem und immer wieder nur die eindringliche Warnung: Mit „den anderen“ wird alles unsozialer, kälter.

Manche in der SPD hätten sich deshalb eine eindeutige Absage an eine Koalition mit der FDP gewünscht. Die Jusos versuchten noch am Samstag, mit diesem Vorschlag durchzukommen. Doch die Mehrheit war dagegen – und Schröder blieb bei seiner Feststellung, die FDP sei „im Moment“ nicht regierungsfähig. Deutlicher als bisher machte er klar, dass er am liebsten mit den Grünen weitermachen will, vor allem mit Joschka Fischer. Doch die Option, mit „den Vernünftigen“ in der FDP zu koalieren, will er sich nicht nehmen lassen.

Den Linken in der SPD war’s auch so genug. Die Abgrenzung von der FDP sei „an Deutlichkeit nicht zu überbieten gewesen“, sagte Andrea Nahles nach Schröders Rede. Ob man nach dem September mit den Liberalen koalieren könne, hänge „ganz allein von der FDP“ ab.