Boisson Turque et Persienne

Eine „canaillöse wirdschaft“: Was den Bremern der Kaffee und andere Getränke bedeutet haben

Zehn gute Bohnen, vier schlechte, sechs Steinchen und ein viertel Lot Dreck

„Diesen Mittag 12 Uhr 25 Minuten, also am zwanzigsten August des Jahres Ein Tausend Achthundert und Vier und Vierzig, fünf und zwanzig Minuten nach Mittag ist das große Ereigniß eingetreten, auf das unsere Stadt seit dem Mai schon sehnlich harrte, ein Ereigniß, das den Ruhm derselben unaussprechlich heben und mehren wird, das denselben noch weiter hinaustragen wird in die entferntesten Weltgegenden als sein Handel es bislang gethan, ein Ereigniß, das heute unser Börsen-Publikum in die größte lebhafteste Bewegung gebracht hat, ein Ereigniß, an dem unsere Damen den innigsten Antheil haben, ein Ereigniß, das eine neue Bildung, eine bessere Cultur, Gewandheit, Tournüre und Geschmack über unsere philiströse Bevölkerung bringen wird; – es haben – es haben – nun es haben Stehely und Josty ihre Conditorei, ihr Caffeehaus eröffnet! haben sie eröffnet, ja eröffnet, ja!“

Das ist doch mal eine Ankündigung. Mit Schmackes. Für ein Kaffeehaus am Domshof, vorab gelobt in einem Artikel aus dem Jahr 1844, ein verbales Kleinod. Gefunden von Petra Sieling-Biehusen, die Doktorin geworden ist mit einer Abhandlung über „Coffi, Schokelati und Potasie“, über den Kaffee-Handel und Kaffee-Genuss in Bremen. Coffi, Schokelati und Potasie – eine Art Kräutertee, die einst der Niederländer Jan Jantz von Huesden im Jahr 1673 im ersten Bremer Kaffee, zugleich erstes Kaffee in Deutschland, anbot – Coffi, Schokelati und Potasie also klingen zwar lieblich-lecker, ihre Geschichte in Bremen aber ist wenig spannend. Viel spannender ist die Geschichte des Alkohols. Und weil dort, wo es Kaffee gibt, meist auch Alkohol gibt, und weil das in früheren Jahrhunderten nicht anders war, sind auch bei Petra Seling-Biehusen Kaffee-Stories eng mit Sauf-Stories verbunden. Wobei „saufen“ früher wohl so ziemlich jeden für überflüssig gehaltenen Genuss bezeichnete, auch das Pfeiferauchen. „Tabaksaufen“, nannte das die bessere Gesellschaft bis ins 17. Jahrhundert, erst dann setzte sich das „Rauchen“ durch.

Ausschweifung, Genuss, Schlemmerei – das ist nicht des Bremers erstes Lebensziel. Wohl aber das der Massen, Hanseatentum hin oder her, und wer damals zu sehr zulangte, musste sich öffentlich im Gottesdienst zurechtweisen lassen.

Besonders hoch her ging es auch in der Wirtschaft des Schütting, neben dem Ratskeller das wichtigste Lokal Bremens. Die Schütting-Kneipe übernahm Ende des 17. Jahrhunderts der Schotte Gilbert Spens, nachdem sein Vorgänger dort eine „canaillöse wirdschaft“ geführt hatte und geflogen war. Der neue Wirt möge, so wurde er verpflichtet, „keine Heuerleute noch liderlich Volck“ dulden. Das Liderliche schafften die edlen Kaufleute aber auch allein, auch nachdem Spens den Laden übernommen hatte. Wer‘s gar zu doll trieb, der wurde – wie praktisch – im hauseigenen Kerker zu Besinnung gezwungen. Wer sein Gezeche im Schütting diskret behandeln wollte, der benutzte den geheimen unterirdischen Gang, der hinunter zu Schlachte führt. Ihn gibt es immer noch, aber die Zugänge wurden zugemauert.

Auch den Kaffee lernten die Herren im Schütting zu schätzen. Und irgendwann stifteten sie ihrem schottischen Wirt einen Kaffeekocher, einen „Coffè ofen“ für immerhin drei Reichstaler.

Seling-Biehusens Buch ist eine wissenschaftliche Arbeit. Mit vielen Fußnoten, mit ein bisschen Foucoult und Weber zwischendurch und mit einer nicht immer interessant zu lesenden Chronologie der Beziehung zwischen Bremen und dem Kaffee vom 17. bis ins 19. Jahrhundert. Ein Buch für Freunde des Speziellen. Aber es gibt Highlights auch für weniger Kaffeegeschichte-Begeisterte: Viele Zitate im Ton der Zeit geben einen – aus solcher Laienperspektive bestimmt nicht historisch korrekten – Eindruck, wie‘s gewesen ist, als man Kaffee und Bier aus denselben Gefäßen trank, als Patriziertum und Zügellosigkeit keinen Widerspruch darstellten, als Männer aus Frankreich „boisson Turque et Persienne“, türkische und persische Getränke, vulgo Kaffee, aufgossen, und als der Lehrling Friedrich Engels 1840 aus Bremen an seine Schwester Marie schrieb: „Weißt Du, was superfein mittelgut ordinärer Domingokaffee ist? Das ist wieder einer von den tiefen Begriffen, die in der Philosophie des Kaufmannsstandes vorkommen, und die Eure Geisteskräfte nicht verstehen können. Superfein mittelgut ordinärer Domingokaffee ist Kaffee von der Insel Haiti, der einen leisen Anflug von grüner Farbe hat, im übrigen grau ist, und wo man zu zehn guten Bohnen vier schlechte Bohnen, sechs Steinchen und ein viertel Lot Dreck, Staub usw. in den Kauf bekommt. Jetzt hast Du‘s wohl begriffen.“Susanne Gieffers