Wie ein Gauner

Ein Gespräch mit Étienne Chatiliez über seinen neuen Film „Tanguy“, Eltern-Kind-Beziehungen, Boshaftigkeit, Erfolg und Selbstvertrauen

Interview: KIRA TASZMAN

Étienne Chatiliez, Jahrgang 1952, hat sich mit nur vier Filmen in 14 Jahren als einer der erfolgreichsten Regisseure Frankreichs etabliert. Mit Das Leben ist ein langer, ruhiger Fluss landete er 1988 einen Überraschungshit. Sein letzter Streich Tanguy handelt von einem 28-jährigen Nesthocker, der zum Leidwesen seiner Erzeuger partout nicht aus dem gemütlichen elterlichen Heim ausziehen will.

taz hamburg: Alle Ihre Komödien sind sehr boshaft. Machen Sie das, um sich abzureagieren?

Étienne Chatiliez: Ich denke, ich mache das, weil ich einfach so bin. Nicht aus Berechnung, sondern, weil es mich selbst zum Lachen bringt. Schüchterne sagen immer Scheußlichkeiten und Schimpfwörter. Was man seine Figuren sagen lässt, traut man sich wahrscheinlich selber nicht zu tun. Das ist ein bisschen meine Sicht auf das Leben. Spöttisch, ohne dabei zynisch zu sein, hoffe ich wenigstens. Ich fühle mich den Leuten, die ich beschreibe, nicht überlegen. Andere zu kritisieren, bedeutet auch, sich selbst zu kritisieren.

Demnach halten Sie auch Ihre Zuschauer für boshaft. Schließlich machen Sie sie in Tanguy zu Komplizen der Eltern, die sich immer neue Gemeinheiten einfallen lassen, um ihren Sohn aus der gemeinsamen Wohnung zu verscheuchen.

Das Thema des Films ist, dass die Eltern ihr Kind loswerden wollen. Man darf nie schlecht über seine Kinder reden. Dabei bin ich sicher, dass alle Eltern ihre Kinder zehn Sekunden pro Tag am liebsten erwürgen würden, aber man darf es nicht sagen. Ich spreche laut aus, was andere im Stillen denken.

Wäre das ohne den Humor nicht erträglich?

Ja, dadurch wird es hinnehmbar. Dass die Eltern Tanguy ja lieben, rettet den Film. Das ist nicht wie in den Skandalgeschichten, zum Beispiel um die Mutter Ténardier, die ihre drei Kinder in der Badewanne ertränkt hat. Meine Eltern im Film können einfach nicht mehr, trotz ihrer enormen Liebe zu ihrem Kind.

Sie fingen als Werbefilmer an, haben mit Ihren komischen, mehrfach ausgezeichneten Spots für die Schuhmarke Eram das Genre erneuert. Hat Ihnen diese Ausbildung für das Komödienfach geholfen?

Zur Werbung gehe ich bestimmt nicht zurück! Ich habe dort auch schon immer Comedy gemacht, was nicht so üblich war. Dabei habe ich herausgefunden, dass andere über das, was ich lustig finde, auch lachen können. Da wollte ich dann auf das lange Format umsteigen. Ich bin durch die Werbung an sich nicht beeinflusst worden.

In Ihrem ersten Film arbeiteten Sie mit unbekannten Darstellern. Welchen Unterschied bedeutet die Arbeit mit Stars wie Michel Serrault oder André Dussolier?

Echte Stars mit wirklichem Talent sind einfach zu handhaben. Sie sind alle hervorragende Schauspieler. Egoprobleme hatte ich mit keinem von ihnen. Man hatte mir furchtbare Dinge über Michel Serrault erzählt. Ich habe mich bei den Dreharbeiten zu Das Glück liegt in der Wiese sehr gut mit ihm verstanden, es war ein stilles Einverständnis.

Warum drehen Sie so selten? Vier Filme in 14 Jahren?

Das kommt vor allem aus einem Mangel an Selbstvertrauen. Nur weil man es einmal geschafft hat, kann man nicht immer wieder unschuldig von vorne beginnen. Ich habe immer den Eindruck, ein Gauner zu sein, dass ich nicht wirklich Fahrrad fahren kann und das eines Tages jemand merkt.

Gibt Ihnen der Erfolg nicht Recht?

Der Erfolg ändert daran nichts. Man weiß nie, ob sich die Anerkennung wiederholt. Ich glaube, dass es keine schaffenden Künstler gibt, die nicht an ihrem Werk zweifeln. Außerdem ist Erfolg kein Qualitätskriterium. Zwar muss Populäres nicht automatisch scheiße sein. Aber Mireille Matthieu zum Beispiel ist auch sehr erfolgreich, und ich betrachte sie nicht als eine große Sängerin.

Der Film läuft seit 30.5.