Miss Sargfabrik

Loft-Feeling in der Mietwohnung. Die Bremer Architektengruppe BKK-3 stellte sich jetzt vor. Ihr Fazit: „Es gibt keine Wahrheit im Wohnungsbau“

Das Einrichten in diesen Räumen dauert – die Umzugskartons stehen noch rum

Es gab Zeiten, da war der Wohnungsbau das bevorzugte Feld architektonischer Innovationen. Diese Zeiten sind lang vorbei. Lang her ist auch die Phase, als Partizipation – das Eingehen auf die Wünsche des Nutzers – eine entscheidende Stelle in architektonischen Konzepten einnahm. Um so überraschter reibt man sich die Augen angesichts jüngster Wiederbelebungsversuche dieser Bereiche. Dass das Flaggschiff des neusten Wohnungsbaus „Miss Sargfabrik“ heißt, sollte man nicht als schlechtes Omen werten. Schon eher als Ausdruck der spezifischen Wiener Lust am Morbiden. Dort nämlich steht die Miss – geschaffen von der Architektengruppe BKK-3. Kürzlich stellte Johann Winter von der Gruppe den Bau und andere Projekte des BauKunstKollektivs (denn das steckt hinter den drei Buchstaben) in der Bremer Architektenkammer vor.

Auch über die anderen Namensungereimtheiten wurde man im Laufe des Vortrags aufgeklärt. „Miss“ ist nichts anderes als die Kurzform für Missindorfstraße – eine der zwei Straßen, die den L-förmigen Grundriss des Baus tangieren.

Er schließt eine Ecklücke in einem gründerzeitlichen Baublock. „Sargfabrik“ bezieht sich auf eine tatsächlich gewesene Fabrik für letzte Ruhestätten in einem Nachbarblock. Auf diesem Gelände hatte die Gruppe bereits in den achtziger Jahren begonnen, ein innovatives Konzept kollektiven Wohnens zu verwirklichen. Natürlich zusammen mit den späteren Bewohnern.

Die hatten sich zu einer genossenschaftsartigen Organisation zusammengeschlossen, um an öffentliche Fördermittel zu gelangen. Schon dieses Vorläuferprojekt zeigt zwei typische Momente, die auch den jüngeren Bau prägen. Das ist zum einen die zentrale Integration von Gemeinschaftseinrichtungen. Im ersten Projekt besetzen sie fast ein Viertel der Gesamtfläche. Sie dienen nicht nur den Bewohnern der Anlage, sondern zum Teil dem ganzen Quartier: ein Kindergarten, ein Schwimmbad, ein Café, Seminarräume. Ein wahrlich urbanes Wohnkonzept.

Der andere Grundgedanke ist, die Schachtelhaftigkeit der Normalneubauwohnung zu überwinden. Um die auch in Österreich engen Normen auszutricksen, ist viel Fantasie und Beharrlichkeit nötig. Etwa indem ein offiziell zu niedriger Wohnraum zum Abstellraum umdefiniert wird. Denn es gibt keine Vorschrift über die maximale Abstellraumfläche im sozialen Wohnungsbau – auch nicht über die maximale Raumhöhe. Letzteres kommt dem BKK-Architekturkonzept sehr entgegen. Sie lieben – wie ihre Klientel – Wohnen mit wechselnden Raumhöhen: Loft-Feeling in der Mietwohnung.

Der Erfolg gibt den Architekten Recht. Miss Sargfabrik ist die Folge des immer größer werdenden Bedürfnisses, anders als gewohnt zu wohnen. Dieser Bau nimmt als Gemeinschaftseinrichtungen nicht nur eine Bibliothek und eine Bedarfs-Gemeinschaftsküche auf (fast täglich, sagt Winter, werde hier gemeinsam gekocht und gegessen), sondern auch einen zentralen Waschsalon. Und der liegt nicht im Keller (da sind die Partyräume für die Kids), sondern im zweiten Obergeschoss gleich neben der Bibliothek. Die Wohnungen sind gegenüber dem Vorläuferbau noch weiter radikalisiert. Das geschieht hauptsächlich durch Schrägen. Jede zweite Trennwand baucht sich aus. So wechseln Wohnungen, die die Mitte betonen, und solche, die die Fensterseiten betonen, einander ab.

Und beide sind gefragt. Winter: „Es gibt keine Wahrheit im Wohnungsbau!“ Ganz ungewöhnlich sind aber die Schrägen in den Decken, die sich beim Nachbarn als Schrägen im Boden widerspiegeln. Winter meint, dass man hier mit IKEA-Fantasien beim Einrichten nicht weit kommt. Also ist ein kreativer Lernprozess bei den Bewohnern nötig.

Viele haben noch immer ihre Umzugskartons herumstehen. Sich in diesen Räumen einzurichten braucht Zeit. Die äußere Gestalt hat sich nach gutem altem Funktionalistenmotto „fast wie von selbst“ ergeben. Der knallorange Anstrich der Putzfassade setzt einen Akzent, der für BKK-3 inzwischen fast zu einem Markenzeichen geworden ist. Doch bevor es soweit ist, wird halt der nächste Bau außen schwarz gestrichen. Ja so soans, die Weaner.

Eberhard Syring