Wo sind die Aliens?

Das Projekt „Linie 25“ führte Studierende der Hochschule für Künste an die Peripherie der Hansestadt: In den Problemstadtteil nach Tenever. Nun ist es zu Ende – und ein Fazit der Kunstaktionen nicht ganz einfach

Ein Fazit lässt sich nicht in einer simplen Erfolg/Scheitern-Rechnung fassen

Vielleicht ist es kein Zufall, dass die zahlreichen DiskutantInnen bei dem das „Linie 25“-Projekt abschließenden Round Table eigentlich nur zwei Stadtteile im Munde führten. Tenever, klar, denn darum ging‘s ja die ganze Zeit. Und das Viertel. Beides mehr als Namen, bilden sie so etwas wie die Pole der Wahrnehmung dieser Stadt. Sie sind einander mal näher und mal viel weiter von einander entfernt, als man‘s in den gut zehn Kilometern Luftlinie oder der durchschnittlichen Anzahl der Stockwerke ausdrücken könnte. So wurde auch klar, dass „Linie 25“ auch als etwas wie ein Beitrag zur Psychotopografie Bremens lesbar ist.

Auch wenn man ohne durchaus hätte drauf kommen können: Es geht eben nicht hier der Butzemann um, während dorten der LiLaLaunebär ohn‘ Unterlass tanzt. „Linie 25“ war ein „Spiel“ – aber im Ernst. Ein Café, ein Hotel oder das simple Klingeln an der Tür: Hallo, ich bin die neue Nachbarin. Simulation, Markierung, einem ästhetischen Konzept folgend, gewiss. Aber auch echt.

Indem sich die Studierenden der Hochschule für Künste (HfK) ins Offene begeben, heraus aus den wohlbekannten, mithin schützenden Räumen, berühren sie „echtes Leben“, zu dem es das eigene künstlerische Handeln in Beziehung zu setzen gilt. Und sonst? Das ist (auch) eine Frage der Perspektive.

LiLaLauneBär

Ein Fazit lässt sich nicht in einer simplen Erfolg/Scheitern-Rechnung fassen. Abschließend geht es auch um den Austausch über wechselseitige Fremdheits-Erfahrungen. Wer sind eigentlich die Aliens? Jene, die vor Projektbeginn (und ohne dies bestimmt bis in alle Ewigkeit) erklärtermaßen noch nie in Tenever waren. Oder die anderen, die schon vorher da waren, weil sie einfach leben in Tenever, und nicht, wie sich eine Anwohnerin verwahrte, hier „zwangsweise eingeliefert“ wurden.

Dass sich die ausgehende Fragestellung, „wie nahe sich künstlerische Arbeitsfelder an Brennpunkte sozialer Auseinandersetzungen heranbringen“ lassen, nicht in einem Exploitationszusammenhang verhedderte, dürfte für dieses Projekt sprechen. Die Kooperation mit zahlreichen in Tenever ansässigen Projekten wie Quartier e.V. und das behutsam-mahnende Insistieren der betreuenden Professoren, dass man sich ja „nicht als etwas Besonderes fühlen“ solle, haben ein Übriges getan.

Nachbarn auf Zeit

In Zusammenhängen, wo es „unmöglich ist, nur dem ‚Kunstgenuss‘ zu frönen“, wo sich „ästhetische Erfahrungen vermischen mit dem Ort als realer Lebenswelt“, wie Rolf Thiele von der HfK meint, werde ein künstlerischer Prozess lesbar. In der Interaktion mit den Bildern von und Erfahrungen in der Hochhaussiedlung, mehr noch in der Begegnung mit deren BewohnerInnen – den Nachbarn auf Zeit – zeigt sich, dass das eigene künstlerische Tun gar nicht (oder wenigstens nicht ausschließlich) eigenes Tun ist.

Wieder was gelernt. Und auch wenn Dagmar Lill von der Kulturbehörde zu Recht fragt, ob man denn nach Tenever – als symbolischem Ort – gehen müsse, um soziale Wirklichkeit zu spüren, muss auch sie konzedieren, dass in der vielfältigen Interessenlage, irgendwo zwischen Stadtteil(Neu)entwicklung, künstlerischer Ausbildung und zeitgemäßer Hochschulpolitik, die „Einsamkeit“ und „Fremdheit“ des ungeschützten Produktionsortes nicht mehr, aber eben auch nicht weniger bedeuten als etwa die Frage, ob es dort genug Ärzte gibt, oder genug Möglichkeiten der Kinderbetreuung.

Durch „Linie 25“ wurde niemand ein „neuer Mensch“– nicht die, die zum ersten Mal in einem Hochhaus wohnten und arbeiteten, und auch nicht jene, die im Vorübergehen sahen, dass im Café komische Menschen komische Dinge tun. Ein Kunstprojekt fungiert hier als Mittler.

Der Weg mit der Linie 25, der durchaus metaphorisch zu lesen ist, bedeutet eben auch den Hinweis auf eine mögliche Re-Integration von Zentrum und Peripherie. Dass in Tenever stadtplanerisch, sozial und kulturell einiges im Argen liegt – und selbstredend nicht nur dort – , kann man den angehenden KünstlerInnen dabei am Wenigsten anlasten. Gerade weil sie sich nicht als Helden des „Outback“ sehen, sondern als normale Bewohner. Wenn auch nur auf Zeit.

Tim Schomacker