Iren erhören DFB-Betteln

Beim 1:1 gegen eine solide, aber biedere irische Mannschaft werden die DFB-Fußballer auf Prä-WM-Normalmaß zurückgestutzt und müssen nun um die Qualifikation fürs Achtelfinale bangen

Eine Analyse des spielerischen Offenbarungseides aber fand nicht statt

von THOMAS WINKLER

Einen gesunden Tritt ins Hinterteil hatte Mick McCarthy der Auswahl des DFB versprochen, sollten die Deutschen meinen, seine irischen Fußballer würden sich ähnlich ergeben in ihr Schicksal fügen wie wenige Tage zuvor ihre saudi-arabischen Kollegen. Ein Arschtritt wurde es nicht, den der irische Nationaltrainer seinem Widerpart Rudi Völler verabreichen konnte. Aber ein dickes blaues Auge zumindest. Denn am Ende reichte das vierte Turniertor von Miroslav Klose nur zu einem überaus schmeichelhaften 1:1 für die deutsche Nationalmannschaft.

Die gute Nachricht: Das DFB-Team hat immer noch beste Chancen, sich für das Achtelfinale zu qualifizieren. Die schlechte Nachricht: Mit einer ähnlichen Leistung wird am kommenden Dienstag gegen Kamerun nicht allzu viel zu holen sein. Die eigentliche Erkenntnis des Spiels aber war, dass die Mannschaft, die manche deutsche Zeitung nach dem 8:0 gegen Saudi-Arabien schon auf dem Weg ins WM-Finale wähnte, von einer biederen irischen Mannschaft recht problemlos auf Prä-WM-Normalmaß zurechtgestutzt werden konnte. Allein: Die Iren vergaßen das Toreschießen, ihre besten Einschussmöglichkeiten vereitelte Oliver Kahn – bis zur 92. Minute, als Bobby Keane die von Klose bereits in der 19. Minute geköpfte Führung egalisierte.

Der späte Ausgleich war „tragisch“ (Bernd Schneider) und „darf nicht passieren“ (Carsten Ramelow), aber eben auch vollkommen verdient für die Iren. Ansonsten und prinzipiell war wenig Erbauliches zu beobachten: Deutscher Spielaufbau war nicht vorhanden. Stets wurde der Ball lang und hoch nach vorne geschlagen, oft von Kahn, dem die deutschen Abwehrspieler das Spielgerät zuschoben, weil sie selbst keine Anspielstation fanden. Die Folge waren 58 Prozent Ballbesitz für das irische Team. Die nach dem Saudi-Arabien-Spiel hoch gelobte deutsche Mittelfeldachse mit Hamann, Schneider, Frings und Ballack konnte nur dann kombinieren, wenn die Männer von der Grünen Insel die langen Schläge nicht unter Kontrolle brachten.

So musste auch Völler zugestehen, dass die Seinen „zu wenig nach vorne gemacht haben in der zweiten Halbzeit“. Diese Einschätzung kann getrost als euphemistisch bezeichnet werden, zeigten sich die Iren doch wesentlich solider organisiert und laufbereiter. „Das deutsche Nationalteam ist ein Mythos“, ließ McCarthy nach dem Spiel verlauten. Aber: Vom im modernen Fußball so beliebten Räume-Engmachen oder Verschieben schienen allenfalls die Seinen etwas gehört zu haben.

Anstatt den Gegner vom eigenen Strafraum wegzuhalten, „zieht man sich zurück und lässt den Gegner kommen“, erklärte Kahn die nach der Führung eingeschlagene Taktik. Die allerdings voll nach hinten losging. Im Verlauf der zweiten Halbzeit bekam sogar der deutsche Torsteher „das Gefühl, wir betteln um das 1:1“.

Vorausgesetzt, Kamerun gewinnt wie nicht anders zu erwarten heute gegen die Saudis, wird das Spiel gegen den Afrika-Meister „zu einer Art Finale um das Weiterkommen“, meinte Kameruns Trainer Winnie Schäfer, der vom DFB-Team nicht allzu beeindruckt gewesen sein dürfte. „Wir befinden uns nun in einer Drucksituation“, hat Kahn erkannt, „nun müssen wir zeigen, dass wir diesem Druck standhalten können.“ Nach der gegen Irland gezeigten Leistung dürfte das Spiel gegen Kamerun allerdings weniger ein mentales als ein fußballtechnisches Problem werden.

Der Rest waren Betroffenheit (Völler: „Bitter, wenn man das Achtelfinale bereits vor Augen hat“), Plattitüden (derselbe: „Wir müssen weiter arbeiten.“) und Durchhalteparolen (noch einmal: „Wir sind Tabellenführer, und das wird auch noch vor dem Spiel gegen Kamerun so sein. Ich bin überzeugt, dass wir den nötigen Punkt noch machen“). Eine Analyse des spielerischen Offenbarungseides aber fand nicht statt. So bleibt am Schluss nur die unzweifelhaft richtige Erkenntnis des Teamchefs: „Es geht weiter.“ Fragt sich nur, wohin: Ins Achtelfinale oder nach Hause.