Klose kann‘s, der Rest wankt

Beim 1:1 gegen eine solide, aber biedere irische Mannschaft werden die DFB-Fußballer auf Prä-WM-Normalmaß zurückgestutzt und müssen nun um die Qualifikation fürs Achtelfinale bangen

aus Ibaraki FRANK KETTERER

Man musste nur einen Blick auf die Ränge des Kashima-Stadions werfen, um zu sehen, wer sich da als Sieger fühlte und wer als Verlierer. Jubel, Trubel und jede Menge Heiterkeit herrschte in der grün gekleideten Kurve, dort also, wo die irischen Fans Quartier bezogen hatten für diese WM-Partie in der Präfektur Ibaraki. Kräftig gefeiert und gesungen wurde da – und ganz bestimmt endete der Abend für nicht wenige der irischen Fans erst am nächsten Morgen und kaum in nüchternem Zustand. Auf der anderen Seite, eine Platzlänge nur und doch Gefühlswelten entfernt, war die Ernüchterung schon eingekehrt. Eine resignierte Stille hatte sich über diesen Block gelegt, wo die Fußballfreunde im Trikot mit dem Bundesadler ausgeharrt hatten. Und obwohl das Spiel mit 1:1 geendet hatte, konnte es keinen Zweifel darüber geben, dass dieser Abend von Kashima einen Sieger und einen Verlierer gesehen hatte. Und dass dieser Sieger nicht Deutschland hieß.

Dabei trug das Drehbuch der Partie zunächst durchaus Züge, die dem des Spiels gegen die Saudis ähnlich waren: Nachdem die deutsche Mannschaft die Phase des Beschnupperns beendet hatte, war es erneut Carsten Jancker vergönnt, seine Mannschaftskollegen zur Fortsetzung des fröhlichen Halalis aufzufordern. Mit einem wuchtigen Freistoß nach zehn Minuten setzte der Münchner ein erstes Zeichen. Vor allem Miroslav Klose verstand das Signal: Zunächst bekabbelte er sich mit Verteidiger Staunton noch erfolglos aber Respekt einflößend in des Gegners Strafraum, kurz darauf bekam der irische Mannschaftskapitän dazu noch nicht einmal mehr die Gelegenheit: Bis Staunton da die Situation richtig erfasst hatte, war die weite Flanke von Michael Ballack, der völlig ungehindert in des Gegners Strafraum spazieren konnte, auch schon auf dem Kopf von Klose gelandet. Der Rest war für den neuen Vollstrecker der Nation nichts als Routine: hochsteigen, Ecke aussuchen, einköpfeln, Klose-Salto schlagen. Das alles geschah in Spielminute 19 und ließ das Guthaben auf dem WM-Trefferkonto des Youngsters, der vor zwei Jahren noch in der Regionalliga gekickt hat, auf vier Treffer nach zwei Spielen steigen, was eine ziemlich sensationelle Quote ist.

Ergebnispflege

Es hätte also wieder ein schöner WM-Abend werden können im Kashima-Stadion. Und dass er am Ende doch nicht so unbeschwert wurde wie noch vier Tage zuvor, lag bestimmt nicht am Regen, der zwischenzeitlich den lauen Abend benetzte, sondern schon an der deutschen Mannschaft selbst. Denn wo sie gegen die Saudis noch torhungrig nachgesetzt und den Gegner einfach an die Wand gespielt hatte, versuchte sie sich nun in Pragmatismus. Zur gepflegten Ergebniskontrolle aber, das machte dieser Mittwochabend deutlich, fehlt dieser Mannschaft die spielerische Souveränität. Und so schalteten die Deutschen nicht nur einen Gang zurück, sondern drosselten den Motor ihres Spiels so sehr, dass er zu stottern anfing und gegen Ende tatsächlich noch abwürgte. „In dieser Phase haben wir zu wenig Fußball gespielt“, bemerkte anschließend Oliver Kahn, der von seinem Tor aus ja einen prima Überblick hat aufs Spiel.

Und was sich in der zweiten Hälfte der ersten Halbzeit noch eher sachte angedeutet hatte, schlug im zweiten Durchgang immer mehr durch; und so ziemlich alles, was gegen die Saudis noch geglänzt hatte, verlor nun immer mehr an Strahlkraft. Ballack zum Beispiel entglitt die Partie im Mittelfeld zusehends, Didi Hamann war zu sehr mit der Absicherung nach hinten beschäftigt, als dass er zusätzlich noch Akzente nach vorne hätte setzen können, Carsten Jancker wiederum rannte zwar weiterhin viel, aber immer öfter auch ins Abseits, Torschütze Klose schließlich rieb sich immer mehr in der irischen Defensivreihe auf, ohne noch wirklich Gefahr ausstrahlen zu können. „Wir haben als Team nicht mehr so die Laufwege gesucht und uns zu sehr zurückgezogen“, bemerkte Klose, der neue Torschütze vom Dienst. Auch den Grund für den in der zweiten Halbzeit immer ungeordneter werdenden Rückzug hatte der Youngster parat: „Wir hatten das 1:0 im Hinterkopf. Das war nicht so gut.“

Letzteres gilt zuvörderst für jene, die hinten für Sicherheit sorgen sollten und diesem Auftrag gerade in Halbzeit zwei immer weniger nachkamen. Die deutsche Defensive um Abwehrchef Carsten Ramelow, das war die vielleicht ernüchterndste Erkenntnis dieses Abends in Kashima, ist, das hatte man schon vermutet, alles andere als eine Festung; vor allem Thomas Linke auf der rechten Abwehrseite entwickelte sich immer mehr zum Krisenherd. Da es sich bei der irischen Offensivabteilung kaum um wirkliche Klassestürmer im eigentlichen Sinne handelte, dürfte Völler durchaus den ein oder anderen Kopfschmerz davongetragen haben ob der Konfusion, die Robbie Keane und Damien Duff vermehrt im Strafraum der deutschen Elf anrichteten und die spät, wenn auch nicht unverdient, den Ausgleich herbeiführte.

„Müssen zittern“

Zweimal hatte Torhüter Oliver Kahn zuvor auf waghalsigste Weise gegen Robbie Keane klären müssen, bei dessen drittem Anlauf aber konnte auch der Bayern-Keeper die Schlafmützigkeit von Linke und Ramelow nicht mehr ausbügeln. Dass das 1:1 erst in der Nachspielzeit zustande kam, machte die Sache nur noch bitterer. Und wie alles hätte kommen können, wenn die Iren nicht schon vor der WM Weltklassespieler Roy Keane aus dem Kader befördert hätten, sollte man sich besser nicht ausmalen.

Auf jeden Fall ist die deutsche Mannschaft nach ihrem Höhenflug gegen die Saudis wieder auf dem Boden der Tatsachen gelandet. Nächsten Dienstag, im letzten Gruppenspiel gegen Kamerun, muss sie mindestens einen Punkt holen, um das Achtelfinale zu erreichen. „Wir müssen jetzt wieder zittern“, brachte Hamann den Stand der Dinge auf den Punkt. „Einfach nur ärgerlich“ fand Frings den späten Ausgleich. „So etwas darf nicht passieren“, bemerkte Ramelow, bevor Rudi Völler die allgemeine Stimmungslage im deutschen Lager kurz und bündig zusammenfasste: „Die Enttäuschung ist groß. Wir werden wohl eine schlechte Nacht haben.“