Der Ernsthafte

Der junge Mann im Kostüm einer Spinne: Die Hauptrolle in „Spider-Man“ hat Tobey Maguire zum Star gemacht

Die Augen sind den Frauenzeitungen schon aufgefallen. Spätestens vor drei Jahren, als sich Tobey Maguire durch die kitschige John-Irving-Verfilmung „Gottes Werk und Teufels Beitrag“ blinzelte, fingen sie an, ihn als Teenie-Idol, Mann zum Verlieben und hoffnungsvollen Jungstar zu bauchpinseln. Ang Lee, der Regisseur von „Der Eissturm“, in dem Maguire 1997 einen nachdenklichen, smarten Teenager gab, behauptete allerdings, Tobey Maguire müsse gut spielen, denn er sehe nicht gut genug aus. Der Wirkung der Augen war er sich wohl noch nicht bewusst.

Es sind nämlich größtenteils die Augen, mit denen Maguire spielt. Beim Vis-à-vis-Gespräch im Berliner Four Seasons Hotel muss man manchmal wegsehen: Er guckt einen sonst in Grund und Boden. Tobey Maguires Augen sind irgendwie hell und grün und rund und wach. Und schauen einen direkt an. Glücklicherweise hat er diese etwas quäkige Stimme, die den hypnotischen Blick ein wenig dämpft, sodass ernsthafte Gespräche möglich werden. Darauf legt Herr Maguire Wert: Ernsthaft ist er auf jeden Fall. Ernsthaft denkt er darüber nach, was sich für ihn geändert hat, seit er mit „Spider-Man“ nun da angekommen ist, wo Leonardo DiCaprio (mit dem er befreundet ist und im später von DiCaprio nicht autorisierten Slacker-Film „Don’s Plum“ spielte) und Nicole Kidman und so weiter hocken und versuchen, das Hollywood-Star-Phänomen möglichst unbeschadet zu überleben. „Ich fühle schon Veränderungen und Bewegungen seit dem Film“, sagt er so nachdenklich, wie er fast alles sagt. Veränderungen, „die ich noch nicht genau benennen kann“.

Diese freundliche Schwammigkeit in den Antworten liegt daran, dass Maguire weiß, wie man schmeißfliegenartigen JournalistInnen ein paar happige Brocken hinschmeißt, die nach wunderschön durchdachtem US-Buddhismus klingen, aber, wie spät entdeckter Buddhismus es oft an sich hat, wenig wirkliche Inhalte haben. Tobey Maguire wird diesen höflichen Abstand zu ehrlichen Antworten brauchen, um sich nicht wegspülen zu lassen in dem Geschäft. Wenn sich nach „Spider-Man“ etwas zum Schlechteren geändert hätte, fügt er mit einem so bedeutungsvollen wie sinnentleerten Meister-Joda-Ausdruck hinzu, dann würde er „dem Negativen einfach keine Macht geben“.

Und damit hat er doch etwas Ehrliches gesagt, hat den Widerspruch angedeutet, den man bei Maguire spürt. Den Widerspruch, der ihn im „Eissturm“ so authentisch, in „Pleasantville“ so begeistert und begeisternd und in „Fear and Loathing in Las Vegas“ (wo er eine klitzekleine Rolle als asthmakranker Tramper hatte) so rührend macht: Maguire wirkt, als ob er Acht auf sich gäbe, weil er sich schon mal verloren hat. Als ob er darum jetzt vorsichtig wäre. Darum ernährt er sich gesund, isst seit Jahren kein Fleisch und keinen Fisch. Regelmäßig macht er Yoga und meditiert. Und, sagt er bestimmt: „Ich trinke nicht und rauche nicht.“

Dabei sind die Drogen und damit – für einen Menschen wie Maguire – der Abgrund ständig um ihn herum. In „Fear and Loathing in Las Vegas“ wird konsumiert bis Oberkante Unterlippe. In „Der Eissturm“ gibt Maguire seiner Angebeteten und dem unliebsamen Konkurrenten Hardcore-Tabletten, um sich an das Mädel heranzumachen. In „Gottes Werk und Teufels Beitrag“ ist sein Vorgänger laudanumsüchtig. Und der Spider-Man wird erst einer, nachdem ihm eine Spinne ihr Gift eingespritzt hat. Maguire selbst scheint also der einzige Profiteur in einem Drogenwust zu sein. Auf die Frage, wieso das so ist, wirkt er plötzlich irritiert. „Das ist interessant, so ist mir das noch gar nicht aufgefallen“, behauptet er, und wie man es denn selbst mit den legalen Drogen halte, fragt er lächelnd wie ein Therapeut, so oft, bis er eine Antwort bekommt. Er selbst jedenfalls trinke nur Wasser, wiederholt er so beschwörend, als ob er es vor allem sich selbst bekräftigen müsse. Die Gerüchte fallen einem ein, dass das nicht immer so war, dass Maguire, wie die ganze Wildbunch-Clique mit DiCaprio, dem verstorbenen River Phoenix und einigen mehr sich durch die Gegend soffen wie weiland das Rat Pack, nur schlimmer. Diese Gerüchte würden jedenfalls zu Maguires jetziger Gebranntes-Kind-Haltung passen.

Tobey Maguire ist 27, interessiert sich kein Stück für Fußball, hat keine Angst vor Spinnen, hat als Kind nie Comics, auch nicht Spiderman, gelesen und kommt aus Santa Monica in Kalifornien. Sein Vater ist Bauarbeiter und Koch (auch Maguire wollte ursprünglich Koch werden), seine Mutter Sekretärin. Er hat zwei Halbbrüder und eine Halbschwester. Kein typisches Hollywood-, sondern ein unauffälliges Durchschnittselternhaus. So musste er vielleicht erst lernen, wie man sich vom ignoranten, ätzenden, aber auch verführerisch liebevollen Filmbusiness nicht zu sehr auf die Pelle rücken lässt, wenn man sensibel ist und auf sich Acht geben muss.

Tobey Maguire spielt in „Spider-Man“ den sich an dünnen, klebrigen Spinnennetzen durch die Welt turnenden Marvel-Superhelden so, dass man glaubt, er sei sensibel. Weil er ein ernsthafter, junger Mann ist, der sogar in einer Comicfigur nach einer Bedeutung und dazu – viel schwieriger – noch immer nach sich selbst sucht. JENNI ZYLKA