Probleme? Welche Probleme?

In der Bundestagsdebatte über den Antisemitismusstreit warfen sich alle Fraktionen gegenseitig vor, das Thema zu Wahlkampfzwecken zu missbrauchen – und sie hatten fast allesamt Recht. Westerwelle fiel zum Thema nicht viel ein

von BETTINA GAUS

Petra Pau von der PDS nahm die Namen der FDP-Politiker Guido Westerwelle und Jürgen Möllemann keinmal in den Mund. Sie sprach in der aktuellen Stunde des Bundestages, die den jüngsten öffentlichen „Äußerungen mit antisemitischer Tendenz“ gewidmet war, über diejenigen, die von diesen Äußerungen in besonderer Weise betroffen sind: die Jüdinnen und Juden.

3.473 antisemitische Straftaten seien zwischen 1998 und 2001 in Deutschland registriert worden, sagte Pau. Der „Nährboden“ für Antisemitimus sei aber noch erheblich tiefer und von der Straftatenstatistik gar nicht zu erfassen. Es greife deshalb viel zu kurz, wenn jetzt der Eindruck erweckt werde, bei dem Thema gehe es um einen Konflikt zwischen jüdischem Zentralrat und bestimmten Politikern: „Es geht um ein gesellschaftliches Problem, das nicht delegierbar ist.“ Sie finde es deshalb „schwierig“, dass der Aufruf zur Demonstration gegen den Antisemitismus von einer jüdischen Organisation und „nicht aus der Mitte der Gesellschaft“ heraus erfolgt sei.

Mit ihrer betonten Distanz zur Parteipolitik blieb die Rednerin eine der ganz wenigen, die gestern der Versuchung widerstanden, das Thema zu Wahlkampfzwecken zu benutzen. Genau das warfen sich Vertreter der Regierungsfraktionen auf der einen sowie Abgeordnete der Unionsparteien und der FDP auf der anderen Seite gegenseitig vor – und sie hatten allesamt Recht.

Wilhelm Schmidt, parlamentarischer Geschäftsführer der SPD, meinte an die Adresse der FDP gerichtet, wer „im Container startet, wer Schuhgröße 18 hat“, außerdem in Hamburg mit dem Rechtspopulisten Schill koaliere und in Hessen mit der „rechtsbrecherischen“ CDU, „der hat die Wende zum Rechtspopulisten längst hinter sich“. Der CDU-Politiker Wolfgang Schäuble ließ durchblicken, dass er von der ganzen Debatte nichts hielt: Die Regierungsfraktionen „sollten den Verdacht meiden, sie wollten mit dieser Debatte von ihren eigenen Problemen ablenken“.

Schäuble nutzte außerdem die Gelegenheit, um darauf hinzuweisen, dass der umstrittene Landtagsabgeordnete Jamal Karsli seine inkriminierten Äußerungen noch als Mitglied der Grünen gemacht hatte. Was wiederum Cem Özdemir zu der Klarstellung veranlasste, sein ehemaliger Parteifreund sei mit seinem Parteiaustritt nur einem von den Grünen geplanten Ausschlussverfahren zuvorgekommen. Ein intellektueller Höhepunkt der Debatte war erreicht, als der CDU-Politiker Eckart von Klaeden den grünen Abgeordneten Christian Ströbele mit einem angeblichen Zitat konfrontierte, dessen Urheberschaft dieser schon vor Jahren bestritten und dessen Wiederholung er gerichtlich hatte verbieten lassen.

Da fiel es dann schon kaum noch auf, dass auch dem FDP-Vorsitzenden zum Thema nicht viel mehr einfiel als Vorwürfe an die politische Konkurrenz: „Diese aktuelle Stunde soll nicht der Demokratie dienen, sondern Ihrem Wahlkampf“, erklärte er und behauptete: „Sie legen die Axt an die Wurzel der Gemeinsamkeit der Demokraten.“ Von dem Ultimatum, das er wenige Minuten zuvor seinem Stellvertreter Jürgen Möllemann gestellt hatte, erzählte er den Parlamentariern nichts. Schließlich hatte er es ja bereits den Medien mitgeteilt.

Stattdessen betonten Westerwelle und der FDP-Fraktionsvorsitzende Wolfgang Gerhardt wieder und wieder, wortgleich und beschwörend: „Wir sind eine Partei der Mitte und wir bleiben eine Partei der Mitte.“ Beschwörend klang auch Volker Beck, als er – sehr ernst – an Westerwelle appellierte, den so genannten Antisemitismusstreit in der FDP zu beenden: „nicht wegen Wahlkampf, sondern damit Juden in Deutschland wissen, dass sie hier gut aufgehoben sind“.