Immer wieder Finnland

In Sachen Bildungspolitik haben die skandinavischen Länder die Nase vorn. Beim taz-kongress in Tübingen präsentierten Pädagogen aber auch spannende Schulmodelle made in Germany gegen den Pisa-Schock

TÜBINGEN taz ■ Auch beim taz-kongress in Tübingen bildete Skandinavien die Folie, vor der das deutsche Bildungssystem nach dem „Pisa-Schock“ verhandelt wurde: Was sind die Versäumnisse der deutschen Bildungspolitik? Und: Ist das nordische Erfolgsmodell übertragbar?

„Ich halte nichts davon, Bildungssysteme einfach zu kopieren“, sagte Helmut Rau, Staatssekretär im baden-württembergischen Kultusministerium. Gleichwohl müsse man den Schulen mehr Entwicklungsspielraum lassen. „Das ist bei uns schon heute nicht verboten“, so Rau. Da ist Thomas Rau ganz anderer Meinung: „Als Pädagoge will ich das tun, was ich für richtig halte.“ Der Grund- und Hauptschullehrer aus Tübingen hat sich an das Projekt einer integrierten Sekundarschule gemacht. Eine ernüchternde Erfahrung: „Vom Ministerium wurde das Konzept klein geschrumpft.“

Bei Gerhard Spindler, Rektor der Hauptschule im württembergischen Niederstetten, kam der Wunsch nach grundlegender Veränderung aus dem Kollegium – „und wir haben nicht gefragt, ob wir dürfen, wir haben einfach gemacht“. Herausgekommen ist die „erste Prädikatsschule“ Baden-Württembergs. Der eigentlich nahe liegende Antrieb: „Den Hauptschülern wird doch ständig deutlich gemacht, dass sie es in unserer Gesellschaft nicht geschafft haben. Also ist es unser Ziel, den Hauptschüler zu stärken.“

Und noch ein Prinzip in Niederstetten: „Guter Unterricht ist, wenn nicht mehr unterrichtet wird.“ So werden individuelle Förderpläne erstellt, und der Schüler wird mit einbezogen bei der Frage, was er lernen will. Das Ergebnis: „Die Schüler belegen 120 Prozent; sie sind 35, 36 Stunden in der Schule, obwohl sie nur 31 Stunden müssten.“ Vor allem aber zieht die 5.500-Einwohner-Stadt als Schulträger mit: Seien es die zehn Gesangsvereine, die eine Musiklehrerin bezahlen; sei es der städtische Hauptamtsleiter, der die Schüler im Rathaus unterrichtet. Das Ganze habe man übrigens vor Pisa entwickelt, so Sprindler nebenbei.

Niederstetten aber ist – noch – ein Einzelfall. Für Reinhard Kahl hat das mit „kulturellen Unterschieden“ zu tun. „In Skandinavien kreuzen sich Utopisten und Pragmatisten bei der Bildungspolitik“, stellte der taz-Autor und Filmemacher fest. „In Deutschland bekämpfen sie sich.“

Und was ist mit der Übertragung des skandinavischen Gesamtschulmodells auf Deutschland? Staatssekretär Rau will am dreigliedrigen Schulsystem festhalten. Für ihn müsse die Frage unabhängig vom Schultyp beantwortet werden, wie Förderkonzepte umgesetzt werden könnten. Er könne sich zum Beispiel einen Lehrassistenten in jeder Schulstunde vorstellen. „Da werden die Lehrer gezwungen sein, sich abzusprechen und sich über die Lernziele zu verständigen.“ Das Beispiel stammt – aus Finnland. THILO KNOTT