Die Löwen beißen gern die Großen

Nach der uninspirierten Vorstellung beim 1:0 gegen Saudi-Arabien stellt sich die Frage, wie stark Winnie Schäfers Team aus Kamerun, das am Dienstag gegen Deutschland um den Achtelfinaleinzug spielt, wirklich ist

SAITAMA taz ■ Nun ist es doch so gekommen, dass aus dem Endspiel der Vorrundengruppe H zwischen Afrikameister Kamerun und den Nachkommen des dreimaligen Welt- und Europameisters am 11. Juni in Shizuoka eine deutsche Angelegenheit wird. Egal von welcher Seite man auf dieses Spiel sieht, immer wird Winfried Schäfer, der sich so gern als zweitgeborenes Kind der Bundesliga bezeichnet – nach dem Erstling Otto Rehhagel –, im Fokus der Kameras sein, was er offiziell als Inszenierung der auf Personality-Stories fixierten Medien kritisiert. „Wir spielen nicht gegen Deutschland“, sagt Schäfer deshalb gern, „wir wollen für Kamerun gewinnen.“ Und ihm sei es egal, ob auf der anderen Bank „der Rudi sitzt oder der Lemerre“. Immerhin zieht der Mann, der in seinem Heimatland praktisch nicht mehr vermittelbar war als Trainer, nun zum Vergleich Deutschlands Fußballidol Rudi Völler und den Chefcoach vom Welt- und Europameister her.

Ein deutlicher Hinweis, in welcher Kategorie sich Schäfer selbst einordnet. Aber jeder, der ein bisschen von der Persönlichkeit des 52-Jährigen kennt, kann sich ausmalen, wie es hinter der Mauer von Floskeln in Wirklichkeit aussieht. In der Saitama-Arena erlebte man Schäfer fast wieder so wie in seinen besten Zeiten als „König vom Wildpark“, jenen Uefa-Pokalnächten, in denen der Karlsruher SC und sein Antreiber an der Seitenlinie für Furore gesorgt hatten. Als Samuel Eto’o in der 66. Minute endlich das Tor gelungen war, das Kamerun nach Punkten gleichziehen ließ mit Deutschland, spurtete der Torschütze sofort zur Bank, riss sich sein Trikot vom Leib, herzte seinen Chef und tanzte mit ihm. Emotion pur. Und weil Schäfer sich schlecht seines Jackets und der Krawatte entledigen konnte, trat er mit dem Fuß in eine Bande. Er sah nicht glücklich aus dabei, eher verzerrt, mit knallrotem Kopf. Aber die Gefühle, die in ihm kochten, brauchten ein Ventil.

Schäfer war auch zu seinen besten Zeiten kein Taktiker, kein Analytiker, kein Intellektueller. Er hat seine Mannschaften übers Herz angesprochen. Er konnte eine ganz bestimmte Aura verbreiten. Und das versucht er nun auch im Camp von Kamerun. „Wir hatten jetzt unser Erfolgserlebnis, Kameruns ersten WM-Sieg seit 1990“, sagt er, das Gegentor aber, das die Deutschen in der Nachspielzeit gegen Irland kassiert hätten, hafte umgekehrt als Negativerlebnis in deren Köpfen. Die alte Schäfer-Masche.

Aber wie stark sind die „Unzähmbaren Löwen“ wirklich? Hätten die um ihre Ehre spielenden Saudis, die nach dem 0:8-Desaster gegen Deutschland zum Gespött in allen Kaffeehäusern des Orients geworden waren, auch nur einen vernünftigen Stürmer gehabt, dann bräuchten wir über Kameruns wirkliche Fußballqualitäten nicht länger zu diskutieren. Doch das Resultat lässt Schäfer und dessen Leute weiter an ihre Worte glauben. Kamerun sehe stets schlecht aus gegen kleinere Teams, rechtfertigte Kapitän Song die mäßig inspirierte Vorstellung – „aber gegen Große steigern wir uns immer“. Und Deutschland sei ein Großer. Ein paar Meter weiter referierte Patrick Mboma von afrikanischen Visionen: „Unsere Ziele sind noch immer dieselben. Weniger als das Erreichen des Viertelfinales wäre eine Enttäuschung. Und unter uns sprechen noch viele vom Endspiel.“

Und so kann man nur froh sein, dass die Partie am Dienstag nicht mit Parolen oder psychologischen Thesen, sondern allein mit dem Ball entschieden wird. Aber zählen wird danach hauptsächlich, was mit dem Mann passiert, der sich auf dem Umweg über den schwarzen Kontinent in seiner Heimat wieder ins Gespräch gebracht hat. Oder fliegt dann auch der Zauber um den Trainer auf, der seine Leute bei Laune hält, indem er sie möglichst viel lobt. Denn Ordnung und eine klare Struktur, wie sie für gehobene internationale Ansprüche unabdingbar sind, ließen sich im Spiel von Afrikas Champions diesmal nicht erkennen. MARTIN HÄGELE