fernöstlicher diwan
: WM in Asien – auf das Schärfste zu verurteilen

Rührei für zwölf um halb neun

Noch nie war eine Weltmeisterschaft so anstrengend. Bereits am 12. April dieses Jahres hatte sich meine Fußballguckgemeinschaft zu einem Fußballguckvorbereitungsabend zusammengefunden, um die Details der Frühstücks-WM zu besprechen. Wir saßen über dem Spielplan und überlegten, ob unser System, die Spiele über Länderpatenschaften auf mehrere Haushalte zu verteilen, womöglich hinfällig geworden war. Dank eines klugen und vorausschauenden Frankfurters, der die WM im thailändischen Fernsehen zur Ortszeit verfolgen wollte, würden wir zwar einen Premiere-Decoder einsetzen können. Aber war es angesichts der Anpfiffzeiten nicht vernünftiger, Sonnabende und Sonntage untereinander zu verteilen statt Fußballnationen? Zum Tagesordnungspunkt „Debakel“ notiert das Protokoll: „Die Anwesenden verurteilen die Vergabe der WM-Ausrichtung an Japan und Südkorea auf das Schärfste.

CAROLA RÖNNEBURGS WM

Mein Spieler: Zinedine Zidane – hat Augen im Hinterkopf und würde nie an einer Eckfahne rivaldieren

Mein Team: Frankreich – wenn Zidane im Spiel ist, gibt es kaum schöneren Fußball zu sehen

Mein Weltmeister: Frankreich – weil ich gern wieder das Finale ausrichten möchte

Fußballspiele sollten übertragen werden, wenn niemand mehr arbeiten muss. (…) Herr K. sieht überhaupt nicht ein, dass uns alles genommen wird. Frau G. versteht nicht, warum die blöden Asiaten Lateinamerika vorgezogen werden. Frau M. rechnet damit, als Mutter von Fräulein Z. mehr Spiele zu sehen als alle anderen Anwesenden, hätte jedoch viel lieber alles in Afrika geguckt. „Die Gemeinschaft stellt fest, dass ihr Bestand und ihr Zusammenhalt extrem gefährdet sind.“

Auch das Thema „Versorgung“ stand zur Debatte: „Herr S. weigert sich, um halb neun Rührei für zwölf Mann zum Viertelfinale zu braten. (…) Gemeinsame Mahlzeiten vor den Spielen müssen ev. in gemeinsame Mahlzeiten nach den Spielen umgewandelt werden. (…) Eine Rückkehr zu bewährten Sitten wird für 3. Juni vereinbart, wenn die Gemeinschaft sich probehalber die Aufzeichnung der Begegnung Brasilien – Türkei ansieht.“ Es waren sehr hässliche Dinge, die wir da verhandeln mussten. Allein die „Begrüßung von Fräulein Z., die zwar schon bei letzten Weltmeisterschaft zur Fußballguckgemeinschaft gehörte, die Spiele jedoch nur akustisch wahrnehmen konnte, da sie zu diesem Zeitpunkt kurz vor ihrer Geburt stand“, brachte kurzzeitig etwas Freude in die Runde, und seitdem Fräulein Z. zum ersten Mal – und richtig – in diesen Tagen auf „Außennetz!“ erkannte, wiegt die Feststellung, „dass Fräulein Z. im sicherlich bald Formen annehmenden Damenfußball eines Tages eine große Rolle spielen wird“, umso schwerer.

Von der Idee, uns Wiederholungen oder gar die „ran“-Fußballcomedyshow anzusehen, haben wir uns rasch verabschiedet. Wir verfolgen die erste Partie des Tages getrennt, in Gaststätten oder am D-Box-Standort, der sich erfreulicherweise während der Vorrunde noch vor meinem Bett befindet. Ab elf Uhr sammeln wir uns bei den jeweiligen Schirmherren und -damen, so sie nicht ihrem Broterwerb nachgehen müssen und ARD oder ZDF übertragen. Und schon jetzt schwinden uns die Kräfte, denn „man kommt zu nichts mehr“, wie Herr G. erschöpft bemerkte. Nach drei, manchmal ja sogar vier Spielen pro Tag – übrigens lehnt die Fußballguckgemeinschaft auch die Verkürzung der WM entschieden ab – ist quasi schon alles gelaufen, aber noch nichts erledigt.

Gegen 16 Uhr, nach einem kleinen Imbiss, fährt Herr G. ins Büro und holt seine „umgestellte Kernarbeitszeit“ nach; Frau M. ist gefordert, mit Fräulein Z. ins Schwimmbad zu gehen; Herr B. und ich werfen unsere Computer an und beginnen die Spätschicht. Aufräumen oder einkaufen müssen wir auch noch alle, kaum einer kommt vor drei Uhr nachts ins Bett – und schon naht das nächste Spiel. Dieser Tagesablauf geht an die Substanz. So können wir uns längst nicht mehr in gewohnter Manier über die unfähige Bildregie des Schurkensenders Premiere echauffieren. Dass hier „alle Spiele“ gezeigt würden, ist schlicht gelogen –„minutenlang alle Trainerbänke oder unwichtige Wiederholungen von Spielszenen“, sollte es heißen. Bei nahezu jedem Spiel kann man mindestens einmal einen Angriff nicht von Anfang an beobachten, weil das Bild den letzten, vollkommen unbedeutenden Distanzschuss zeigt – das kennen wir schon vom öffentlich-rechtlichen Fernsehen, aber uns fehlt die Kraft, uns lautstark zu ärgern. Die brauchten wir schließlich, als Poschmann und seine Expertenrunde selbstgewiss behaupteten, die deutsche Nationalmannschaft werde mit Kamerun schon fertig. „Sicher“, sagte Frau M., „und Polen wird Vizeweltmeister“.

CAROLA RÖNNEBURG