Es ist doch nichts passiert

Nach dem beim 1:1 gegen Irland in letzter Sekunde erst mal verpassten Achtelfinaleinzug üben sich die deutschen Spieler darin, den Eindruck von Gelassenheit zu erwecken und Besserung zu geloben

aus Miyazaki FRANK KETTERER

Nach ein paar durch und durch sonnendurchfluteten Tagen ist am Donnerstag dann doch die ein oder andere Wolke am Firmament über Seagaia, dem malerischen Ferienparadies in Japans Süden, gesichtet worden. Und damit ähnelte die Großwetterlage über dem Sheraton Phoenix Golf Resort auffällig jener in dem weißen Hotelklotz, in dem die deutsche Mannschaft Quartier bezogen hat. Erst am Dienstag hatten Ballack und Kollegen ihre Reise ins Kashima Stadium in der Präfektur Ibaraki angetreten, um dort ihr Spielchen gegen Irland zu spielen, gestern, noch vor der Mittagszeit, schwebten sie mit Japan Airline-Flug 3311 wieder auf dem Flughafen von Miyazaki ein – und mit wirklich drückendem Gepäck, jenem 1:1 vom Vorabend nämlich, das immer noch auf ihren Gemütern lastete und sogar dem Boss persönlich die Nachtruhe geraubt hatte. „Ja, ich habe schlecht geschlafen“, gab DFB-Teamchef Rudi Völler zu, und auch, dass er sich tief in der Nacht „nochmal eine Halbzeit des Spiels reingezogen“ habe, die zweite nämlich und somit auch jene Szene in der Nachspielzeit, in der Robbie Keane die sich ihm bietende Chance eiskalt nutzte – und der deutschen Mannschaft die vorzeitige Qualifikation fürs Achtelfinale in letzter Sekunde vermasselte.

Da ist es bestimmt nur normal, dass ein paar Wolken aufziehen über Fußball-Deutschland, dem deutschen WM-Quartier und natürlich auch über den Gemütern der Nationalspieler, die nun am Dienstag in Shizuoka gegen Kamerun plötzlich wieder mächtig unter Druck stehen. Mindestens ein Unentschieden muss da her, doch darauf möchte sich Michael Ballack erst gar nicht einlassen. „Keine Frage“, sagte der Neu-Münchner gestern, „gegen Kamerun wollen wir gewinnen.“ Und zumindest Abwehrchef Carsten Ramelow hegt schon jetzt keinerlei Zweifel: „Ich bin überzeugt davon, dass wir weiterkommen.“

King Kong tobt

Das ist wirklich fein – und entspricht ganz nebenbei jener Maxime, die Oliver Kahn ausgegeben hatte. „Wir haben nicht die Zeit, die Köpfe hängen zu lassen“, hatte der King Kong unter den Torhütern noch in der Mixed Zone des Stadions zwischen seinen malmenden Kiefern hervorgeqeutscht, danach soll er, so besagt es zumindest ein Gerücht, in der Kabine ein bisschen weitergetobt und den seiner Ansicht nach Hauptschuldigen am Ausgleich mächtig in den Senkel gestellt haben. Carsten Ramelow scheint von dem Vorfall in der Kabine jedoch nichts mitbekommen haben. „Schuldzuweisungen gibt es bei uns nicht“, sagte der Leverkusener.

Die Fahndung nach Fehlern scheint aber dennoch angebracht, schon um sie gegen Kamerun abstellen zu können. Und natürlich ist das zuallererst Sache des Teamchefs. „Mehrere Dinge zusammengekommen“ seien gegen die Iren, sprach Völler, welche Dinge das waren, lieferte er freilich nur häppchenweise nach. Zusammenfassen könnte man das in etwa so: Eine am Ende müde gekämpfte und zu passive Mannschaft ließ sich von hochklassigen Iren, die enormen Druck machten, zu sehr in die eigene Hälfte drängen und schaffte es am Ende nicht einmal mehr, Konter zu setzen. Punkt. Ach so, nein, das noch: Das 1:1 darf man nicht Ramelow allein ankreiden, schließlich fallen Tore grundsätzlich aus Fehlern. Und überhaupt sei der Ball ja bereits vorher im Mittelfeld verlustig gegangen.

Fußball wird ziemlich einfach, wenn Rudi Völler darüber spricht, zumindest, wenn er es in der Öffentlichkeit tut und dort keinem seiner Schützlinge wehtun will, das ist nicht sein Stil. In Wirklichkeit aber wird der Teamchef, das jedenfalls bleibt zu hoffen, schon wahrgenommen haben, wie Ballack im Mittelfeld mit zunehmender Spieldauer immer mehr abgetaucht war, Hamann das entstehende Vakuum in der Zentralen nicht stopfen konnte, Schneider, Frings und Ziege sich versteckten und die ganze Defensive mit Ramelow, Metzelder und Linke hin- und herwackelte, obwohl Ramelow am Tag danach immer noch glaubte, dass die „Abwehrarbeit ganz gut geklappt hat“.

Richtig und falsch

Ob der Mannschaft vielleicht ein Chef auf dem Platz fehle, so wie der große Franz B. es erkannt zu haben glaubt, wurde Rudi Völler noch gefragt, aber auch darauf antwortete der Teamchef eher ausweichend, nämlich mit den Sätzen: „Wenn du gewinnst, war alles richtig. Wenn du verlierst, war alles falsch.“ Und das diente durchaus auch als Antwort auf die Frage, ob er in der 75. Minute nicht besser den schnellen Konterspieler Oliver Neuville für Jancker eingewechselt hätte, um wenigstens für ein bisschen Entlastung zu sorgen, anstatt des eher behäbigen, aber kopfballstarken Oliver Bierhoff.

Trotzdem: Keine Sorge Fußball-Deutschland. „Es ist nichts passiert“, wie Michael Ballack feststellte. „Noch sind wir Tabellenführer.“ Und ganz bestimmt wird Kamerun richtig weggeputzt von den deutschen Elitekickern, die mit solchen Endspielen ja beste Erfahrungen haben, man denke da nur an die Qualifikation für diese WM und an die Ukraine. „Man kann diese Situation durchaus vergleichen“, fand abschließend Rudi Völler. Das Spiel gegen die Ukraine endete übrigens 4:1. Für Deutschland.