Mit Möllemann vor – und wieder zurück

Ulmer Bundestagskandidat schockte Südwest-FDP mit Jubel über Karsli und Einladung an NPD. Nun ist er wieder brav

Auf dem Boot, in der Bücherei, im Parkhaus, als Skiläufer oder als Fotograf, immer in Pose, immer im schicken Anzug, darunter das schwarze Hemd mit lässig offenem Kragenknopf: Jochen S. Dreixler (24) gibt den Hansdampf in allen Gassen. Mal blickt der schmalgesichtige Jüngling nachdenklich zwischen Buchdeckeln, mal lacht er strahlend in die Kamera, Wet-Gel im dunklen Stoppelhaar. Der FDP-Newcomer, Spitzname „Joe“, ist frisch gebackener Bundestagskandidat im baden-württembergischen Wahlkreis Ulm/Alb-Donau und bietet für alle etwas. Irgendwer wird ihn schon wählen. Dafür, fordert er knapp in seinem Wahlaufruf: „Spenden Sie mir.“

Warum aber überhaupt wählen? Der Kandidat steht schließlich für weniger Politik, vor allem weniger „staat“, geschmäcklerisch kleingeschrieben, und mehr für „Uns“, ganz groß geschrieben, für „Wir“, die freien Bürger. Der Staat, befindet er, sei „ein gefräßiges Monster“ und „zu fett“: „Politik ist das Problem. Lösen wir es.“ Also doch wählen, weil, lässt er wissen, die FDP für die Freiheit des Individuums stehe. Und die muss wohl grenzenlos sein, denn: „Für Grenzen und Vorschriften sind andere zuständig.“ Da schwingt das postmoderne Gesellschaftsbild der US-Libertarians, deren Credo unreglementierte Marktwirtschaft ist, ebenso mit wie das der Libertins des 19. Jahrhunderts, die sich an moralische und sittliche Normen nicht gebunden fühlten.

Dreixler, der den gezielten „Tabubruch“ als Wahlkampfmittel propagiert, fühlte sich dieser Tage zumindest nicht an die baden-württembergische Parteiräson gebunden. Stattdessen ergriff er Partei für Jürgen W. Möllemann und lud, zusammen mit dem Ulmer Kreisvorsitzenden Stefan Havlik (22), den Nachwuchs der extremen Parteien Deutschlands zur Diskussion nach Ulm ein. Die PDS winkte ab, die NPD-Jugend und die „Republikaner“ zeigten sich interessiert.

Landesparteivorsitzender Walter Döring, der sich im FDP-Machtkampf ganz klar gegen Möllemann positioniert hatte, zeigte sich ensetzt. Dreixler und Havlik waren beide aufgrund von Querelen der Altvorderen im Südwesten erst vor wenigen Monaten an die regionale Parteispitze gelangt. Dreixler avancierte außerdem in den Landesvorstand. Die Neuen nutzten die Zeit und bestimmten den Kurs neu, lobten die österreichische Haider-Partei und geißelten den israelischen „Staatsterrorismus“. Dreixler stellte sich hinter den Möllemann-Schützling Jamal Karsli und lud ihn ebenfalls ein.

Dreixler versteht sich auf PR. Er studierte Tourismus und Hotelmanagement, diente dem tourismuspolitischen Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion als Mitarbeiter und begann seine politische Karriere 1997 bei den Jungliberalen. Seine Homepage verweist auf die Monatszeitschrift eigentümlich frei, die ein Diskussionsforum für eine krause Mischung von Liberalismus, Anarchismus und Kapitalismus anbietet. Dreixler nennt sich selbst „radikal-liberal“, hat als angehender Berufspolitiker aber auch schon Übung im Zurückrudern. Gestern versicherte er in einer gemeinsamen Erklärung mit Dörung und Havlik, die FDP bleibe die Partei der Mitte – mit Weltoffenheit und Toleranz. Und um nach dem Rückzug Karslis aus der NRW-Landtagsfraktion keine neuen Spekulationen aufkommen zu lassen: „Jamal Karsli wird in der Ulmer FDP kein Forum für antisemitische Äußerungen finden.“ HEIDE PLATEN