Kriege bringen keine Sicherheit

Auch für die deutschen Friedensforschungsinstitute stand der Kampf gegen den Terrorismus notgedrungen im Mittelpunkt ihres „Friedensgutachtens 2002“. Der Krieg in Afghanistan habe zentrale Ziele nicht erreicht. Warnung vor präventiven Angriffen

von BETTINA GAUS

„Terrorismus ist nicht die Krankheit, sondern das Symptom – die Krankheit ist der historisch-gesellschaftliche Zusammenhang, aus dem er erwächst.“ Diese Einsicht ist die Basis der wichtigsten Schlussfolgerungen des Friedensgutachtens 2002, das Vertreter der fünf deutschen Friedensforschungsinstitute gestern in Berlin vorgestellt haben.

Das beherrschende sicherheitspolitische Thema des letzten Jahres war die Diskussion über die Gefahren des internationalen Terorrismus und die geeigneten Mittel seiner Bekämpfung. „Einmal mehr wurde uns der Schwerpunkt aufgedrängt“, sagte dazu Bruno Schoch von der Hessischen Stiftung Friedens-und Konfliktforschung.

Die Erkenntnisse der Friedensforscher sind alarmierend: Es sei „nicht mit Sicherheit auszuschließen“, dass Terroristen in den Besitz von Massenvernichungswaffen gelangen. So gebe es weltweit 250 Tonnen militärisches Plutonium und 1.700 Tonnen hoch angereichertes Uran. Viele Lagerstätten seien unzureichend gesichert oder gar nicht bekannt. „In Abrüstungshilfe und -verifikation zu investieren statt in die Entwicklung neuer exotischer Kriegsmittel, bringt mehr Sicherheit“, folgerte daraus Bruno Schoch im Namen der etwa 30 Wissenschaftler, die an dem Gutachten mitwirkten.

Im eigenen Interesse muss der Westen nach Ansicht der Friedensforscher in stärkerem Maße als bisher für die Liberalisierung repressiver Systeme eintreten – „trotz des Heißhungers nach billiger Energie, der uns kurzfristig Stabilität vor Demokratisierung stellen lässt“. Wenn Bürgerkriege und die Ausbreitung des Terrorismus verhindert weren sollten, dann bräuchten auch Islamisten politische Artikulations- und Partizipationsmöglichkeiten.

Krieg als „präventives Mittel“ zur Bekämpfung des Terrorismus lehnen die Forscher grundsätzlich ab: Solange von einem Staat keine Aggression ausgehe, sei ein Militärschlag „bloße Willkür“ und verstoße gegen das Völkerrecht und andere internationale Verträge wie beispielsweise auch den Nato-Vertrag.

Ein Krieg gegen den Irak bedeute, von vorbeugender Terrorismusabwehr zum Krieg gegen mögliche Besitzer von Massenvernichtungswaffen überzugehen. Reinhard Mutz vom Hamburger Institut für Friedensforschung äußerte in diesem Zusammenhang die Sorge, dass bereits auf dem nächsten Nato-Gipfel offen darüber diskutiert werden könnte, ob präventive Angriffe künftig Teil einer neuen Nato-Strategie werden sollen.

Zu einer „gemischten Bilanz“ kommen die Forscher im Blick auf Afghanistan. Positiv heben sie hervor, „dass die Diktatur der Taliban besiegt und ein Sanktuarium für die Rekrutierung terroristischer Akteure zerstört wurde“. Andererseits aber betonen sie, dass es keine gesicherten Informationen über zivile Opfer und Zerstörungen gebe und darüber hinaus „die beiden zentralen Kriegsziele“ nicht erreicht worden seien: „Das Netz von al-Qaida wurde nicht zerstört, Bin Laden nicht gefasst.“

Global betrachtet hat der 11. September aus Sicht der Friedensforscher die Koordinaten des internationalen Machtgefüges verändert. Mehr denn je bestimme die „Pax Americana“ die Weltpolitik. Russland habe sich zum Sicherheitspartner der USA gewandelt, das Gewicht der Europäer in den transatlantischen Beziehungen aber abgenommen.

Europa dürfe jedoch nicht dabei stehen bleiben, den amerikanischen Unilaterlismus zu beklagen, sondern sollte Intitiativen zu einer multilateralen Kooperationskultur entwickeln. Insbesondere müsse die EU in internationalen Regelwerken wie WTO, Währungsfonds und Weltbank verstärkt ihr Gewicht und ihre Interessen einbringen.

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