Als Simulantin abgestempelt

Der Fall Shqipe Gashi: Erst als sie abgeschoben werden sollte, brach die Kosovo-Albanerin das Schweigen über ihr Trauma. Fünf Gutachten von Fachleuten wurden daraufhin vom Tisch gewischt

von HEIKE KLEFFNER

Alina K.* sucht nach Worten. Eine Hand umklammert die Plastiktüte neben dem Stuhl, die andere wischt eine dunkelbraune Haarsträhne aus dem Gesicht. „Wie Tiger sind die Albträume, die jede Nacht kommen“, sagt die zierliche Kosovo-Albanerin schließlich. Die Hände sind jetzt vor der Brust verschränkt. Sich festhalten können ist wichtig, selbst bei Sonnenschein und in der scheinbaren Sicherheit der eigenen vier Wände in einem Neubau in Neukölln. Sie habe Glück gehabt, sagt Alina K. Glück, dass sie nach der Vergewaltigung durch serbische Polizisten nicht schwanger wurde. Glück, dass sie nach ihrer Flucht nach Deutschland einen Therapieplatz bei einer Psychologin fand. Und „ganz viel Glück“, dass deren Atteste über die posttraumatischen Belastungsstörungen, unter denen Alina K. in Folge der Gewalterfahrungen leidet, von dem Sachbearbeiter in der Berliner Ausländerbehörde anerkannt wurden.

Seitdem hält sie jenes Papier mit dem Schriftzug „Aufenthaltsbefugnis“ in der Hand, von dem andere traumatisierte Kriegsflüchtlinge aus dem ehemaligen Jugoslawien in der Hauptstadt derzeit nur träumen können. Obwohl sie – ebenso wie Alina K. – nach dem Beschluss der Innenministerkonferenz vom November 2000 und einer entsprechenden Weisung des Innensenats an die Ausländerbehörde vom Mai 2001 ein Recht darauf haben, nicht aus Deutschland abgeschoben zu werden.

So wie Shqipe Gashi*. Mehrere Atteste von Fachärzten belegen, dass die 39-jährige Kosovo-Albanerin unter schwersten posttraumatischen Belastungsstörungen leidet. In Stresssituation steigern sich ihre alltäglichen Symptome wie Bluthochdruck, Herzrasen und Erinnungslücken bis hin zu Krampf- und Ohnmachtsanfällen. Mehrfach musste die Mutter von vier Kindern deshalb stationär im Krankenhaus behandelt werden, nachdem sie 1995 aus dem Kosovo nach Deutschland geflohen war.

„Diese Symptome verstärken sich, wenn es den Frauen unmöglich ist, über die Ursache ihres Traumas zu sprechen“, sagt Wiebke Würflinger, die als Diplompsychologin beim Zentrum für Flüchtlingshilfe und Migrationsdienste des DRK arbeitet. „Der Wunsch, zu funktionieren und ein scheinbar normales Leben zu führen, wechselt sich ab mit der Angst, verrückt zu werden.“ Jahrelang konnte Shqipe Gashi nicht darüber sprechen, was geschah, als serbische Polizisten erst ihren Mann zum Verhör schleppten und dann in das Haus zurückkehrten, in dem sie mit zwei Kleinkindern zurückgeblieben war. Erst im November 2000, als die Ausländerbehörde damit drohte, sie und ihre Familie ins Kosovo abzuschieben, und die Angstzustände unerträglich wurden, brach sie ihr Schweigen. „Angesichts der Diagnose ein ganz normales Verhalten“, sagt nicht nur Würflinger.

Doch die Berliner Ausländerbehörde sieht das anders. „Nach Prüfung und Würdigung der Umstände wird von Ihnen die Erkrankung zweckentfremdet und eine Traumatisierung vorgegeben, um in den Genuss des für ernsthaft traumatisierte Flüchtlinge vorbehaltenen Abschiebeschutzes zu gelangen“, lautet das Schreiben, mit dem ein Sachbearbeiter fünf Gutachten – darunter auch eines vom Sozialpsychiatrischen Dienst des Bezirksamts Prenzlauer Berg – vom Tisch wischte. Der behördliche Vorwurf: „Aussagen zu Kriegserlebnissen, die Sie konkret betrafen, werden nicht gemacht.“

Doch laut Bleiberechtsregelung der Innenministerkonferenz muss Shqipe Gashi keineswegs die Details ihrer Vergewaltigung preisgeben. „Die Beamten sollen sich auf die Gutachten von Fachleuten stützen“, sagt Rechtsanwalt Steffen Willutzki. „Doch die Berliner Ausländerbehörde ist offensichtlich entschlossen, anerkannte Psychiater und Therapeuten zu diskreditieren und nach eigenem Gutdünken zu Ungunsten der Betroffenen zu entscheiden.“

Dass der Sachbearbeiter zudem „kriegerische Handlungen“ gegen Kosovo-Albaner durch Vertreter serbischer Sicherheitsdienste vor Ausbruch des Kosovokriegs im Jahr 1999 schlichtweg abstreitet und Shqipe Gashi damit unterstellt, ihre Fluchtgründe wären erlogen, sei „schlicht absurd“, sagt Anwalt Willutzki. Diverse Menschenrechtsberichte des Auswärtigen Amtes geben ihm Recht.

Auch eine Bilanz, die Verwaltungsrichter Norbert Kunath schon im Jahr 2000 zog, spricht gegen die Entscheidungspraxis der Behörde. Danach wurde in 24 Fällen durch vom Gericht bestellte Gutachter die von den behandelnden Ärzten bescheinigte Traumatisierung bestätigt und das negative Ergebnis von polizeiärztlichen Untersuchungen widerlegt. Auch Shqipe Gashi könnte bald dazugehören. Das Verwaltungsgericht hat eine Überprüfung ihres Falls angeordnet.

* Name geändert