big in japan
: FRANK KETTERER über die deutsche Pressemeute

Ein Brief für Franz Josef Wagner

Der Saal, in dem bei dieser WM der Stoff für Schlagzeilen über die deutsche Mannschaft produziert wird, liegt im Keller des Seaside Hall Hotels in Seagaia, dem Ferienpark im Süden Japans, nur eine halbe Busstunde von der Stadt Miyazaki entfernt. Der ganze Park ist seit gut zwei Wochen fest in deutscher Hand, weil sich hier, am sonnigsten Fleckchen Japans, die deutsche Mannschaft eingenistet hat während der Vorrunde – und somit auch die ganze Pressemeute, die mit der Mannschaft bei solchen Anlässen ja immer mitzureisen pflegt, um zu Hause Tag für Tag all die Seiten in den Zeitungen und all die Stunden im Fernsehen füllen zu können mit den neuesten und möglichst exklusivsten Sensationen. Und mindestens einmal am Tag, meist um die Mittagszeit, findet deshalb eine Pressekonferenz des Deutschen Fußball-Bundes statt, die in besagtem Raum in besagtem Keller abgehalten wird, der dann für knapp eine Stunde zum heiligen Gral des deutschen Fußballjournalismus wird. Der Gral ist gute fünf Tennisfelder groß, mit einem roten Teppich ausgelegt und wird gleich von einer ganzen Kolonie Scheinwerfern bestrahlt, weil die Männer vom Fernsehen auch da sind und ziemlich viel Licht brauchen für ihre Kameras. Die Männer von der Zeitung sitzen an runden Tischen, von wo aus sie ihre Fragen stellen dürfen. Trainer und Spieler wiederum, die all die Fragen beantworten sollen, nehmen auf einer kleinen Bühne vor all den Reportern und Fernsehkameras Platz.

Gestern zum Beispiel hat DFB-Pressesprecher Harald Stenger Bundestrainer Michael Skibbe, Torhüter Oliver Kahn sowie Christoph Metzelder mitgebracht aufs Podium – und deshalb werden heute in den meisten deutschen Zeitungen Geschichten über oder mit Skibbe, Kahn und Metzelder stehen und in den meisten Geschichten werden sogar dieselben Sätze und Zitate vorkommen, weil sie alle bei dieser Pressekonferenz gesagt wurden. Extra-Interviewwünsche mit Spielern, also quasi Auge in Auge, müssen hingegen beim Pressesprecher auch extra beantragt werden, ob das Gespräch dann zustande kommt, hängt in erster Linie von Lust und Laune der Spieler ab. Oliver Kahn zu Beispiel hat gleich zu Beginn dieser WM öffentlich bekannt gegeben, dass er während des Turniers prinzipiell keine Privataudienzen zu geben gedenkt, Marco Bode hingegen saß gestern im Pressehotel ganz locker mit ein paar Journalisten zur Plauderstunde zusammen. Prinzipiell aber kann man sagen, dass sich die Nationalspieler in ihrem Hotel, das für Journalisten mehr oder weniger zur Tabuzone erklärt worden ist, ziemlich abschotten und den Pressemenschen lieber aus dem Weg gehen.

Früher war das anders, da können altgediente Kollegen von erzählen, aber dass das heute so ist, wie es ist, hat natürlich auch mit den Medien zu tun und denen, die sich Medienschaffende nennen. Wo früher eine Hand voll Journalisten die Mannschaft verfolgt haben, was manchmal ziemlich wörtlich zu nehmen ist, sind es heute weit über zehnmal so viel. In Seagaia beispielsweise verfolgen täglich 150 Journalisten, und das ist wegen der weiten Entfernung und der hohen Kosten noch wenig, das Treiben der deutschen Jungs und warten quasi nur darauf, dass etwas passiert. Ganz egal, ob das dann gut oder schlecht ist, eine Schlagzeile wird’s auf jeden Fall. Deshalb hat der DFB angeordnet, dass selbst der Zaun um den Pool vor dem Hotel mit weißen Planen zugehängt wurde, damit man von außen nicht sehen kann, dass Spieler X sich gerade in der Sonne grillt. Wenn Spieler X dann nämlich anderntags ein schlechtes Spiel abliefern würde, gäbe es bestimmt ein paar Schreiberlinge, die sich da gleich einen Zusammenhang basteln würden. „Spieler X: Ist er nur zum Urlaub hier?“ – so oder so ähnlich würde dann wohl die Schlagzeile lauten.

Oder, was noch schlimmer wäre, Spieler X bekäme Post von Franz Josef Wagner, dem Kerl, von dem kein halbwegs normaler Mensch Briefe bekommen möchte, weshalb er sie in Bild veröffentlichen muss. Dieser Wagner nämlich lungert auch hier rum, und warum das so ist, weiß außer ihm kein Mensch. Eigentlich ist man hier ja bei einer Fußball-WM, womit der Mann in etwa so viel zu tun hat wie eine Kuh mit der Raumfahrt. Vielleicht sollte ihm das einfach einmal jemand mitteilen. Am besten per Post.