Europa, ganz konventionell

Beim EU-Konvent behandelt Vorsitzender Giscard seine Kollegen wie kleine Kinder. Verbal wird am Haus Europa gebaut, tatsächlich aber nur mit Bauklötzchen gespielt

BRÜSSEL taz ■ Am Ende packte der einzige Grüne im Konvent zur Zukunft Europas den Unmut vieler Delegierter in eine provokante Frage. „Gibt es das Recht dieses Konvents, einen Konsens zu finden, der nicht Ihrer Meinung entspricht?“, frage Johannes Voggenhuber den Vorsitzenden Giscard d’Estaing.

Kurz zuvor hatte der französische Sozialist Olivier Duhamel wissen wollen, was in dem Bericht stehe, den Giscard Mitte Juni in Sevilla den Staats- und Regierungschefs präsentieren wird. Zur Antwort hatte der alte Fuchs seine listigste Mine aufgesetzt und gesagt: Da nicht vorgesehen sei, dass er in Sevilla einen schriftlichen Bericht vorlege, könne er ihn dem Konvent auch nicht vorher zeigen. Was er dort mündlich ausführen werde, wisse er noch nicht.

Es war sicher kein Zufall, dass sich dieses kleine Geplänkel zwischen dem großen Vorsitzenden und zwei erfahrenen Europaabgeordneten abspielte. Denn jetzt, wo statt allgemeiner Grundsatzreden zum ersten Mal konkrete Fragen zur Diskussion stehen, machen sich der unterschiedliche Kenntnisstand und die unterschiedliche Erfahrung im Dialog zwischen den Kulturen als Hindernis bemerkbar.

Zur Vorbereitung auf die Debatte am Donnerstag und Freitag über den Stellenwert der gemeinschaftlichen Justiz- und Sicherheitspolitik in der EU und über die Rolle der nationalen Parlamente bei der EU-Gesetzgebung hatte das Präsidium Informationspapiere verschickt. Ein beigefügter Fragenkatalog sollte helfen, die Redebeiträge auf ein mögliches Ergebnis hin zu lenken: Wo soll die EU strafrechtlich zusammenarbeiten? Muss das bereits bestehende Instrumentarium in der Justiz- und Innenpolitik präzisiert und vereinfacht werden? Welche Aufgaben soll Europol künftig haben, wie soll seine Zusammenarbeit mit nationalen Behörden aussehen? Wer kontrolliert die Arbeit derartiger EU-Behörden, wer garantiert den Datenschutz?

Die EU-Parlamentarier im Konvent beschäftigen sich seit Jahren mit diesen Fragen, wissen genau, wie unklare Zuständigkeiten historisch gewachsen sind und wo die Tabuzonen der einzelnen Mitgliedsstaaten liegen. Auch einige nationale Parlamentarier kennen sich gut aus. Die Regierungsvertreter wiederum reisen mit einem Mitarbeiterstab in Brüssel an, der in Rekordzeit Papiere analysiert, zusammenfasst und Reaktionen vorbereitet. Die Einzelkämpfer im Konvent, von denen es vor allem aus den Kandidatenstaaten viele gibt, haben diesem konzentrierten Fachwissen wenig entgegenzusetzen. Sie vollziehen in ihren Redebeiträgen Erkenntnisse nach, die die alten Hasen in den langen Nächten von Maastricht, Amsterdam und Nizza längst gewonnen haben. Die so genannte „Dritte Säule“ der Innen- und Justizpolitik müsse aufgelöst werden, darin sind sich fast alle Redner einig. Sogar der Vertreter der deutschen Bundesländer, Erwin Teufel, möchte diese Säule zu einem Teil der Gemeinschaftskonstruktion machen.

Verbal wird im Konvent unermüdlich am Haus Europa gebaut, tatsächlich aber nur mit Bauklötzchen gespielt. Denn aus der Nähe betrachtet, stellt sich jeder Redner unter diesem neuen europäischen Haus etwas ganz anderes vor. Erwin Teufel zum Beispiel will den internationalen Terrorismus, die organisierte Kriminalität und vor allem die illegale Einwanderung gemeinschaftlich bekämpfen. „Wichtig ist mir aber auch noch Folgendes: Die Mitgliedstaaten müssen befugt sein, die Zuwanderung für ihre nationalen Arbeitsmärkte selbst zu steuern.“ Denn, so erklärt der Schwabe den Kollegen aus Polen und der Slowakei, der Bedarf an Arbeitskräften sei „in den jeweiligen nationalen Arbeitsmärkten nämlich höchst unterschiedlich“.

DANIELA WEINGÄRTNER