Noch ein paar kleine Elektroschocks?

Am Sonntag könnten die Rechtsextremen um Le Pen von der Vielzahl republikanischer Kandidaten profitieren. Kommen sie in den zweiten Wahlgang, müssten sich Konservative und Sozialdemokraten auf einen Kandidaten einigen, um Siege der Rechten zu verhindern

PARIS taz ■ „Bloß keine Journalisten“ lautete eines der Leitmotive des Parlamentswahlkampfes. Die Kandidaten wollten allein auf dem „Terrain“ sein und maximale „Bürgernähe“ zeigen. Abgesehen von den Rechtsextremen. Deren Star Marine Le Pen (33), Kandidatin in der einstigen Bergbaugegend im Grenzgebiet zu Belgien, und Chefjuristin der Partei ihres Vaters, dem sie wie aus dem Gesicht geschnitten ähnelt, verteilte ihre Handzettel in Begleitung von bis zu einem Dutzend Journalisten.

Seit dem „Elektroschock“ der Präsidentschaftswahl steht „La France d’en bas“ hoch im Kurs. Jenes „Frankreich von unten“, das die Technokraten in Pariser jahrelang ausblendeten und das sich mit einem rechtsextremen Votum Gehör verschafft hat. Als Musterknabe für „La France d’en bas“ gilt der neue Premierminister Jean-Pierre Raffarin. Bei einem Sieg der Konservativen soll der 53-Jährige im Amt bleiben. Ihn qualifiziert, dass er aus der Provinz kommt und keine Eliteschule besuchte.

Der Regel der neuen Bescheidenheit folgten auch die Stars der sozialdemokratischen PS. Doch an anderen alten Gewohnheiten, wie dem Einfliegen prominenter Kandidaten, hielt die Partei fest. So schickte sie Ex-Erziehungsminister Jack Lang, der bei den Kommunalwahlen im vergangenen Jahr in seiner Stadt Blois südwestlich von Paris abgewählt worden war, als Kandidat zu den Parlamentswahlen in das am Ärmelkanal gelegene Boulogne-sur-Mer.

Geblieben ist auch die schwer überschaubare Flut von Kandidaten. Mehr als 8.000 Menschen bewerben sich um die 577 Sitze. Viele spekulieren auf die Tantiemen, die sie gemäß der Zahl ihrer Wählerstimmen aus der Staatskasse erhalten werden. Andere wollen ihre politischen Karrieren keiner Parteidisziplin unterordnen. Unter Letzteren sind einerseits Konservative, die von Chiracs neuer Einheitspartei UMP enttäuscht sind und im Alleingang oder im Zusammenspiel mit der rechtsliberalen UDF gegen UMP-Kandidaten antreten. Andererseits sind es Sozialdemokraten, die sich von der Kandidatenauswahl der Parteizentrale überrumpelt fühlen.

Diese Vielzahl von Kandidaturen rechts und links erleichtert das Spiel der Front national. Sie hat für jeden festlandfranzösischen Wahlkreis einen Kandidaten aufgestellt. Auch wenn diese vielerorts mit der zweiten rechtsextremen Formation, MNR, konkurrieren, hoffen sie, in den zweiten Wahldurchgang zu kommen. Le Pen will, dass seine Partei künftig die Rolle der Mehrheitsbeschafferin spielt.

Vieles für Frankreichs Zukunft hängt davon ab, wie sich die Republikaner in den kommenden Tagen gegenüber den rechtsextremen Kandidaten verhalten werden. Bislang gab es in Frankreich keine Zusammenarbeit zwischen Konservativen und extremen Rechten auf nationaler Ebene. Chirac möchte, dass das so bleibt und droht bei Verstößen mit Parteiausschluss. Bisher war es auch üblich, dass sich bei Dreieckskonstellationen – drei Kandidaten im zweiten Wahlgang – die Linken und Konservativen einigten, den schwächsten ihrer Kandidaten zurückzuziehen, um einen rechtsextremen Sieg zu verhindern.