Niemals den Sand in den Kopf stecken!

Fußball-Lesung in der Shakespeare-Company: Worte, Taten und Helden, die ganz klar am Boden bleiben

„Nach der Pause haben wir den Rhythmus verloren, den wir vorher nicht gefunden hatten.“ Oder auch: „Wir wollten in Bremen kein Gegentor kassieren. Das hat auch bis zum Gegentor ganz gut geklappt.“ Fußball ist „wie eine Frikadelle. Man weiß nie was drin ist.“ Und deswegen lieben wir ihn. Fußball ist so einfach wie komplex, handelt von Schicksal und wird gespielt von Leuten, die Helden sind und trotzdem nie abheben: „Ich bin körperlich und physisch topfit.“

Fußball kennt Glück und Unglück, aber keinen Zufall, Fußball ist nicht nur Schauspiel, alle vier Jahre ist er auch Welttheater. Am Freitag in der Bremer Shakespeare Company ist Fußball vor allem Entertainment: Christian Bergmann, Renato Grünig und Christoph Jacobi vom bsc-Ensemble lesen Fußball-Anekdoten, gerne in verteilten Rollen, vieles davon aus dem Buch „Vorne fallen die Tore“. Jens Hasselmann aus dem Rio-Ensemble spielt dazu Gitarre, zum Mitsingen, für alle: „Steht auf, wenn ihr Bremer seid.“ Sind wir, natürlich. Bis auf taz-Kolumnist Fritz Tietz. Der ist Bielefelder.

Und er ist noch gar nicht dran. Renato Grünig gibt den österreichischen Kommentator Edi Finger, Christoph Jacobi ist der deutsche Kollege Armin Hauffe. Cordoba 1978. „I werd narrisch!! Krankl schießt ein!“ – „Österreich führt dreizuzwei, auch wenn sie mitunter etwas schlampert spielten, man führt mit dreizuzwei.“ Ein legendäres Spiel und ein Trauma und bei Grünig/Jacobi wird‘s ein Sketch, etwas, zum Darüber-Lachen. Und das ist wertvoll, hält man Hansi Müllers damaligen Stimmungsbericht aus der Kabine dagegen: „Eine gewisse Leere. Rolf Rüßermann hat geweint, weil er sich vom Krankl düpieren hat lassen. Die Enttäuschung war wahnsinnig groß. Wir fielen in ein großes Loch.“

Auch immer wieder gerne gehört: Giovanni Trapattonis Wutausbruch bei der Pressekonferrenz am 10. März 1998, eine theatrale Steilvorlage für Imitatoren, die Renato Grünig eindrucksvoll verwandelt – „Ich habe fertig.“ Bühne frei für taz-, Eulenspiegel- und Extra Drei-Kolumnist Fritz Tietz.

Tietz blickt zurück in die eigene Sozialisation, beschreibt seine ersten, einschneidenden Erlebnisse in der Straßenmannschaft. Wie er im „1-0-10-System“ spielen musste – ein Torwart, zehn Stürmer. Tietz war der Torwart, derjenige, der bei dickem Nebel 90 Minuten verlassen und isoliert im Tor steht und nicht erkennen kann, was in der gegnerischen Hälfte passiert. Sporadisch wird er über den Spielstand informiert. Am Ende trägt er dann neben dem Sieg auch eine Lungenentzündung davon. Tietz Kindheitserinnerungen sind melancholisch und selbstironisch, der Fußball ist bei ihm nur Anlass, Verhältnisse zwischen Menschen zu beleuchten.

Nach den Worten dann Taten auf dem Bolzplatz der bsc: Ein Mini-Turnier mit „Roter Stern“ (Meister der Wilden Liga), den „Lustigen“, „Team Grönland“ und Live-Megaphon-Kommentator. Entscheidung per Elfmeterschießen: „Ein Fußball-Abend, der in die Geschichte eingehen wird.“ Sicher. Oder, wie das „Team Grönland“ bei Lothar Matthäus lernt: „Wir dürfen jetzt nur nicht den Sand in den Kopf stecken.“Jakob Flex